Für die Fans im deutschsprachigen Raum war es ein Schlag in die Magengrube, als bekannt wurde, dass das süddeutsche Label Waggle Daggle seine Pforten schloss, denn zahlreiche Bands und Künstler wie KING OLIVER'S REVOLVER und FELIX WICKMAN mussten sich ein neues Label suchen. Das Glück blieb MAJOR PARKINSON leider verwehrt, weswegen "Twilight Cinema", das dritte Album der Norweger um den Hünen Jon Ivar Kollbotn, hierzulande leider nur über bandnahe Kanäle beziehungsweise das norwegische Label Degaton Records geordert werden kann - oder eben als schlabberige Digitaldaten in den bekannten Portalen. Bleibt also zu hoffen, dass sich irgendwann eine sowohl fähige und vertrauenswerte als auch gewillte Plattenfirma findet, die dafür sorgt, dass man das Album auch beim lokalen Plattenhändler oder zumindest in der CD-Abteilung des örtlichen Multimediakaufhauses erwerben kann. Dass das aufwändig produzierte und gestaltete Album veröffentlicht werden konnte, ist letztendlich vor allem dem Crowdfunding zu verdanken - hier haben echte Fans ihre Loyalität mit der Band mehr als nur unter Beweis gestellt.
Es war eine gute Frage, ob der Weggang des Gitarristen Alf Borge maßgeblichen Einfluss auf das zukünftige Schaffen MAJOR PARKINSONs ausüben würde. Offensichtlich ja, denn die norwegischen Stilchamäleons präsentieren sich anno 2014 trotz ihrer Unverkennbarkeit deutlich verändert. Wer auf "Twilight Cinema" eine weitere Lektion in Sachen Freakshow, Zirkus und Wahnsinn wie auf den ersten beiden Alben "Major Parkinson" und "Songs From A Solitary Home" erwartet, könnte gar etwas enttäuscht sein, denn diese drei Hauptkomponenten sind auf dem dritten Album klar in den Hintergrund gerückt oder gar verschwunden. Lediglich der Wahnisnn ist noch vorhanden, wenn auch um einiges subtiler, versteckter und in dicke Klangschichten eingebettet.
Das Halbintro "Skeleton Sangria" startet in düsterer Singer/Songwriter-Manier und ufert in ein walzerndes Trauriger-Clown-Miniepos mit Streichern aus. Der Clown ganz alleine in der Manege. Der Zirkus ist geschlossen, die Zelte abgebaut, das "Twilight Cinema" ist eröffnet. Mit "Impermanence" fällt die Band dann auch gleich mit der Tür ins Haus und präsentiert einen mehr als überraschenden Song. Ein trommelwirbelnder, fast technoid anmutender, in sich eigentlich ruhiger und doch unruhiger Beat und Klaviertöne leiten einen düster-melancholischen Song ein, der durch Kollbotns charakteristisch dunklen Gesang weitergeführt wird - bis sich irgendwann die Gitarren einschleichen und fast schon Post Rock-Feeling aufkommt, gepaart mit einer unterschwelligen, bandtypischen Melodie. Der Song wächst. Und wächst. Und erumpiert. Und hypnotisiert. Und schleicht davon...
"Black River" eröffnet anschließend mit süßlich-melancholischem Gesang einer gewissen Annete Kathinka Servan, begleitet von sanftem Akkordeonhauch, bis eine absurd anmutende und dennoch harmonische Mixtur aus norwegischer Kälte, Balkanfeuer, russischer Erhabenheit, britischem Spirit und fast comichafter Elektronik den gewohnt majorparkinsonschen Groove ins Spiel bringt - nur eben gänzlich anders als zuvor. In diesen zwei Songs schlummert zudem bereits das, was in "The Wheelbarrow" zu voller Entfaltung kommt: Die progressive Komponente. Fast wie ein entarteter Bastard aus GENTLE GIANT und BEARDFISH kompliziert dieses kleine Meisterstück vor sich hin und wächst von einem sachte stolpernden, hinkenden Ohrtausendfüßer mit Ruhepäuschen zu einer gigantischen, kraftvollen Mini-Rock-Symphonie heran, die das Proggerherz mehrfach einen Hüpfer machen lässt und dem Hörer ob der ergreifenden Melodieführung die Augen feucht werden lässt. Hier sei nur mal die Steigerung und Dramatik beim Wechsel vom zweiten ins dritte Songdrittel erwähnt.
Ein Walzer der Absurditäten führt uns anschließend in die Himmelshütte, zu "Cabin In The Sky", das zwar durchgehend mit geschmeidigem Dreivierteltakt einen klassischen Groove vorgibt, doch mit harten Kontrasten spielt - einerseits ist da das locker erscheinende Zirkusflair, dem gegenüber stehen allerdings harte elektronische Basslinien und eine fast schon bitter-ironische Form des Humors. Und wäre "Heart Machine" doppelt so schnell, mit einem straighten Viervierteltakt, luftiger und mit weniger Mollakkorden gespielt, wäre es eine klassische Nummer wie auf den ersten beiden Alben, doch dem Song wurde eine Schwere, Düsternis, Melancholie und später auch massive Härte mit auf den Weg gegeben, dass statt freudigem Schwofen ein fast hospitalistisches Taumeln mit geschlossenen Augen eine fast reflexartige Reaktion ist.
"Beaks Of Benevola" nimmt die Lautstärke im Anschluss etwas heraus und präsentiert sich als überwiegend ruhige Nummer mit abermals zartem Gesang von Frau Servan und bringt, wie so häufig auf dem Album, die für die Band unverkennbaren Melodieläufe in neuem Gewand aufs Tapet, hintergründig, in sparsame Elektronik und edel-melodische Bassläufe eingebettet. Bassläufe, die zusammen mit Kollbotns und Servans Stimmen mitunter die Führung übernehmen, bis das Stück auf einmal das Ruder herumreißt und in eine herzzereißend epische Zwischenszene ausufert.Einen andächtig hinterlässt. Die Türen hinter einem schließt.
Denn nun steht der Hörer tatsächlich vor der Leinwand des "Twilight Cinema", in Form des Titeltracks und Rausschmeißers. Der offenbart, wenn auch in düsterer und proggresiverer Form, ein wenig von dem Wahnsinn und des Verquerseins, wodurch die Band bekannt wurde - allerdings, ohne bei sich selbst abzukupfern. Als hätten TIM BURTON, DANNY ELFMAN, VINCE CLARKE, SERJ TANKIAN und GOGOL BORDELLO gemeinsam ein kleines Musical geschrieben, beinahe respektvoll das eigene Schaffen persiflierend. Und obwohl dieser abschließende Song eine nicht zu unterschätzende Komplexität mit sich schleppt, mausert er sich wie so manch andere Nummer dieses gerade mal vierzigminütigen Albums zu einem richtig fiesen Hängenbleiber.
Die ersten Durchläufe des Albums sind eine wahre Herausforderung, denn man muss sich erst einmal mit der Tatsache konfrontiert sehen, dass der Stil MAJOR PARKINSONs einer radikalen Änderung unterzogen wurde - ohne allerdings die Treue zu sich selbst zu verlieren, denn gerade die akustischen Stahlträger des Bandsounds sind nach wie vor vorhanden und noch immer solide verbaut. Auch wenn es floskelhaft anmuten mag, so erfordert das Album einige Zeit, um im Ohr und im Kopf des Hörers wachsen zu können.
Und sobald "Twilight Cinema" eine gewisse Größe erreicht hat, erweist es sich, so <b>FAZIT</b>ieren wir, als das atmosphärisch wohl dichteste, in sich schlüssigste, konsistenteste und intensivste MAJOR PARKINSON-Album bis dato - vor allem aber auch das progressivste und artrockigste. Und eines, das die Diskographie der Band auf eine besondere Art und Weise abrundet und ergänzt, denn es zeigt das Sextett von einer ganz anderen Seite. Womöglich einer weiteren von noch vielen, die da kommen werden. Und mal ehrlich: Hätte die Band wirklich einfach weiter machen sollen wie bisher? Oder tat es der Gruppe nicht einfach nur gut, Wiederholungen und daraus folgenden Abnutzungserscheinungen vorzubeugen?
P.S.: Auf der Bandcamp-Seite der Band kann man das Album in diversen Versionen käuflich erwerben, doch selbstverständlich kann man (muss aber nich) auch einem gierigen Konzern Geld in den Rachen werfen und das
Punkte: 14/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 20.03.2014
Eivind Gammersvik
Jon Ivar Kollbotn, Miss Tati, Annette Kathinka Servan
Jon Ivar Kollbotn, André Lund, Steinar Hjelmbrekke
Lars C. Bjørknes
Jens Erik Aasmundseth
Jon Ivar Kollbotn (Sanza), Eivind Gammersvik (Mandoline), Lars C. Bjørknes (Klavier, Percussion, Programming), André Lund (Mandoline), Morten Andreas Nome (Cello), Ella Helèn Bukkøy (Violine)
Degaton Records
40:05
24.01.2014