Sind es der zweite Frühling oder die dritten Zähne? Marty Friedman, Guitar-Shredder der ersten Generation und Veredler der besten MEGADETH-Scheiben, hat auf jeden Fall wieder Biss. Sein volles spielerisches Potenzial auszuschöpfen und nochmal richtig steil zu gehen, sei das Ziel für die neue Scheibe gewesen, lässt der Wahl-Japaner ausrichten. Das klingt nach mehr als lauwarm rockenden Feelingplatten wie „Music For Speeding“, die Fans seiner Frühwerke mit mächtig Hunger vom Tisch aufstehen ließen.
Und die Erwartung wird diesmal nicht enttäuscht: Friedman turnt auf dem eröffnenden Titelstück einen doppelten Loomis mit klassischen Guitar Hero-Elementen, aber sehr modernem Sound und fetten Rhythmusgitarren, die so von ihm noch nicht verwendet wurden. „Resin“ folgt mit düsteren Cleangitarren zum Einstieg und entwickelt sich zu einer abwechslungsreichen Modern Thrash-Nummer mit markantem Staccato-Riffing. „Wicked Panacea“, das Trio mit den Akustik-Stars Rodrigo y Gabriella, fällt dagegen enttäuschend aus. Friedman behält die Elektrische und bläst die mexikanischen Klangzauberer mit callmundbreitem Sound einfach an die Wand.
Die Frickeleien, die Friedman auf „Inferno“ präsentiert, sind längst nicht mehr jenseitige Kauleistenverrenker, seit 14-jährige Mädels mit gelangweiltem Gesichtsausdruck auf Internetvideos eins zu eins DREAM THEATER-Solos nachspielen. Sein Alleinstellungsmerkmal ist dagegen nach wie vor die atemberaubende Gestaltung schlüssiger, schier endloser Melodielinien, die die Instrumentalpassagen mit Leben füllen. An der Oper gäbe er einen fabelhaften Koloratursopran ab. Friedman hantiert zudem facettenreich mit Tonmaterial, das ohne Johann Sebastian Bach, oder was Schweden und Italiener dafür halten, und Bluesdudeleien auskommt. Das ist geradezu erfrischend.
Als nächster kommt IHSAHNs wahnsinniger Saxofonist Jørgen Munkeby vorbei, bringt ein paar seiner durchgeknallten Jazzerkumpels mit und bittet zum schrägen Tänzchen auf dem heißen Blechdach und einigen Effektgeräten. Vieles an „Inferno“ erinnert an den Wildwuchs in glorreichen „Rust In Piece“-Zeiten, allerdings ist Marty Friedman ohne Muffel-Dave wesentlich besser gelaunt. Andererseits gehen Reminiszenzen wie dem kurzen „Hyper Doom“ die überirdischen Hooks des Rotschopfs ab.
Modern wird es immer wieder, wenn Friedman Sänger ans Werk lässt. Danko Jones darf zweimal ran und muss beim harten „Lycanthrope“ (mit CHILDREN OF BODOMs Alexi Laiho) seine Vielseitigkeit unter Beweis stellen. Noch besser gefällt mir persönlich allerdings der Modern Metal-Rundumschlag „Sociopaths“ mit David Davidson von REVOCATION. Auch wenn Friedman bei diesen Stücken hörbare Zugeständnisse an seine Gäste macht und sich vornehm zurückhält: Die Idee, ein Guitar Hero-Album mit Gesangseinlagen aufzupeppen, ist Gold wert.
Angenehm fällt außerdem auf, dass sich die Spielzeiten der Titel in erträglichen Grenzen bewegen. Friedman kommt sofort auf den Punkt, fällt teilweise sogar mit der Tür ins Haus, verrichtet sein Geschäft und verschwindet wieder. So fällt auch eine sich hart an der Grenze zum Kitsch bewegende Ballade wie „Undertow“ (immerhin die einzige) nicht weiter ins Gewicht. Gebührend Raum erhält dagegen zurecht die vertonte Mitternachtsstunde „Horrors“, bei der Friedman nach langer Zeit wieder mit seinem CACOPHONY-Partner Jason Becker zusammengearbeitet hat.
FAZIT: Marty Friedman mag durch die Wahl seines Wohnorts von der musikalischen Bildfläche gerutscht sein. „Inferno“ beweist aber, dass er nach wie vor auf der Höhe der Zeit ist. Noch dazu gelingt es ihm, ein Album abzuliefern, das keinen Fan seiner besten Phase enttäuschen wird. Eine wirklich komplizierte Aufgabe, mit Bravour gelöst. Chapeau!
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 26.05.2014
Marty Friedman
mangelnde Daten, Euer Ehren!
Prosthetic Records
48:46
27.05.2014