NEIL FINN ist ein alter Hase im Musikgeschäft. Erste Meriten verdiente er sich mit SPLIT ENZ, die leider mit ihrer Mixtur aus New Wave, ein bisschen Experimentieren und launigem Pop, hierzulande über Geheimtippstatus nie hinauskamen, was sich mit dem folgenden Hitlieferanten CROWDED HOUSE änderte. Hier etablierte sich NEIL, u.a. gemeinsam mit Bruder Tim, als führende Kapazität im gepflegten Aussie-Pop (oder richtiger „Newzee-Pop“) mit BEATLES-Anleihen. Ein Zeitlang kam man um „Don’t Dream It’s Over“, „Something So Strong“ und vor allem „Weather With You“ kaum herum. Hymnen, die vorsichtigen Optimismus, ein bisschen Melancholie und viel, den Fab Four geschuldete, Harmonieseligkeit in die Welt hinaustrugen. Wer den ein oder anderen Song von CROWDED HOUSE nicht, zumindest schamhaft im stillen Kämmerlein, genießen kann, der isst auch Hunde.
Daneben spielte NEIL FINN Solo-Alben und Soundtrack-Beiträge ein, produzierte Hörenswertes als Geschwisterpaar THE FINN BROTHERS und war federführendes Mitglied bei „7 Worlds Collide“, jenem Projekt, dem u.a. Eddie Vedder, Johnny Marr, Lisa Germano und die halbe RADIOHED-Belegschaft angehörten.
„Dizzy Heights“ ist dreizehn Jahre nach „One Nil“ das erste Album, über dem Neils Name alleine steht. Doch eigentlich ist es ein gelungenes Beispiel für hervorragende Haus-/Familienmusik. Besteht doch das musikalische Fundament aus NEIL FINN, seiner Ehefrau Sharon (Bass) sowie den Söhnen Liam (Gitarre) und Elroy (Schlagzeug). Erweitert um Streicher und Dave Fridman, dem FLAMING LIPS- und SPARKLEHORSE-erprobten Produzenten. Dessen Mitarbeit dem Album hörbar gut getan hat.
Viel besser geht moderne Pop-Musik kaum. DIZZY HEIGHTS birst über von Eleganz und Stil, ohne Gefühl und Intensität vermissen zu lassen. Alleine das Geschehen im Hintergrund, zwischen geisterhaften Lauten, experimenteller Irritation und verstörendem Innehalten, wobei nichts davon den melodischen Fluss austrocknet, ist hohe Kunst. Form und Inhalt gehen eine makellose Verbindung ein. Kluge, so witzige wie entlarvende Texte treffen auf eine Musik, die das Erbe der BEE GEES, der BEATLES und ROXY MUSICs (oder vielmehr BRIAN FERRY-Solo: „Flying In the Face of Love“) verwaltet. PREFAB SPROUT und den FLAMING LIPS dürfte ein enthusiastisches „Gefällt mir“ entlocken zu sein.
„Dizzy Heights“ bietet ein sattes Maß jener seltenen Musik, die eingängig und gleichzeitig von entdeckungsreicher Tiefe ist. So erinnert (nicht nur) „Divebomber“ an SCOTT WALKERS düstere Epen, schiebt ihn aber gleichzeitig mit verschärftem Falsett-Gesang beiseite. Funky Gitarren und Basslinien treffen auf PINK FLOYD-Hubschrauber, dunkler Soul auf die BEATLES 2.0. NEIL FINN darf sich zurücklehnen, seine Familie in den Arm nehmen und sagen: „Das haben wir verdammt gut hingekriegt“.
FAZIT: Wir hatten die KELLY FAMILY, haben WOLFGANG und ACHIM PETRY, die AMIGOS, die CORDALIS-Sippe sowie DIETER BOHLEN und sein Ego. Neuseeland hat die Familie FINN. Es braucht gar keine Gauck/Merkel/Gabriel-Skatrunde, um einen Auswanderungswunsch zu hegen. Stimmig produziert und ausgeführt, ist „Dizzy Heights“ der Platz, wo man sein möchte, wenn Pop-Musik definiert wird. Groß.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 26.02.2014
Sharon Finn
Neil Finn, Sharon Finn, Aarahdna, Liam Finn, Sean Donnelly, Madeleine Sami
Neil Finn, Liam Finn
Neil Finn, Sean Donnelly
Elroy Finn, Matt Chamberlain
Sean Donnelly, Will Ricketts, Benjamin Knapp, Will Ricketts, Glen Kotche, Victoria Kelly, Justine Cormack, Miranda Adams, Mark Bennett, William Hanfling, Robert Ashworth, Christine Bowie, Ashley Brown, David Garner, Katherine Hebley, Gordon Hill, Eliah Sakakushev-von Bismarch
Lester Records/Kobalt Label Services/Rough Trade
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07.02.2014