Zugegeben: Man assoziiert mit dem Musikland England (zu) häufig nur Trendreiterei und moderne Sounds. Dass im UK immerhin der Heavy Metal begründet wurde, vergisst man dabei zu schnell, und dass auch 30 Jahre nach der Hochzeit der NWOBHM immer noch reichlich traditionelle Bands musizieren, geht dabei viel zu häufig unter. Auch die Melodic Metaller von NEONFLY sind grob dem Trad-Metal-Genre zuzuordnen, wobei sich die Musik auf dem zweiten Studioalbum „Strangers In Paradise“ zumindest in einer Hinsicht vom konventionellen Melodic Metal abgrenzt: Der Fünfer geht mit einer erstaunlichen Portion Vielfalt ins Rennen – dafür fehlen die genretypischen Scheuklappen.
Das artet auf „Strangers In Paradie“ nicht dahingehend aus, als dass Rap-Einlagen oder Tekkno-Rhythmen zu hören wären. Aber dennoch gestalten NEONFLY ihr Material erfreulich abwechslungsreich. Den KAMELOT-Vergleiche zulassenden Pathos-Rocker gibt es, ebenso einen DRAGONFORCE-kompatiblen Parforceritt, eine Power Ballade im EDGUY-Stil ist ebenso am Start wie orchestral angehauchte Parts, heftiges, modern tönendes Riffing und progressive Ansätze.
Was den einen oder anderen jetzt dazu verleiten könnte, von einem in sich zerrissenen Album auszugehen, dem der rote Faden fehlt und das zwischen den Stühlen sitzt. Was aber komplett in die Irre führen würde. „Strangers In Paradise“ besticht mit seiner Abwechslung, bleibt aber im Kern der Sache stets dem melodischen Metal verbunden. Nur eben mal deutlich schneller, mal moderner, mal progressiver als das bei den 08/15-Alben der Fall wäre. Und mal kuscheliger – das abschließende „Falling Star“ schielt in Richtung 80er-Jahre-MTV-Hits á la DAMN YANKEES oder BAD ENGLISH und gibt dem Hörer zum Ende noch mal eine herzlich-warme Umarmung.
FAZIT: Melodic Metal muss keinesfalls immer dogmatisch stur auf einer schmal definierten Straße fahren. NEONFLY zeigen, wie man dem repetitiv verharrenden Genre neues, frisches Leben einhauchen kann, wie man mit relativ wenigen Handgriffen aus einem soliden Album ein absolut empfehlenswertes Werk machen kann. Traditioneller Melodic Metal aus Großbritannien klang selten untraditioneller als hier, aber ebenfalls selten so frisch. Klasse!
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 21.11.2014
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Inner Wound Recordings / Cargo
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28.11.2014