Es muss doch unglaublich schwer sein, einem ersten Album, welches an Faszination kaum zu überbieten war, während es den Abend ein- („Evening Coming In“) und uns in tiefer Melancholie versinken ließ, die aber nie in Trauerkloß-Beklemmung abrutschte, ein zweites Werk folgen zu lassen, dass einerseits die gleiche Güteklasse besitzt, sich aber andererseits nicht in ermüdenden Wiederholungen des Debüts verausgabt. OCHRE ROOM, diesen finnischen Musik-Wunderkindern, ist es tatsächlich gelungen, genau diesen Anspruch mit „Box, Bar & Diamond“ zu erfüllen.
Doch nicht nur in der Musik liegt die wahre Stärke dieses finnischen Sextetts, auch in ihren tiefgründigen, bewegend vorgetragenen Texten, die den musikalischen Emotionen zur Seite stehen und diese für all diejenigen, die noch genauer hinhören können, verstärken und vertiefen.
So wird also „Box, Bar & Diamond“ eine grandiose Fortsetzung, aber keinesfalls Wiederholung von „Evening Coming In“. Auch ist es kein Wunder, dass die Finnen bei ihren derzeitigen Konzerten manchmal sogar mit dem Amerikaner MARK OLSON von den JAYHAWKS auftreten, da diese Band mit ihrem ergreifenden Americana-Sound und der „Finn“-Sound von OCHRE ROOM sehr viele Berührungspunkte haben. Egal, ob es sich dabei um die geschickten Arrangements oder die komplex ausgerichteten Kompositionen, mit viel Sinn für noch so kleine Details, handelt. Hier wird nichts dem Zufall überlassen. Perfektion ist oberstes Gebot - an jedem Instrument und mit jedem Gesang, ob solistisch oder im Satz, ob männlich oder weiblich. Auch wird man kein Musik-Schublade für diese CD finden - da muss schon ein ganzer Schrank herhalten, in dem sich die Schubladen Country, Kammer-Musik, Americana, Brit-Pop, Bar-Jazz, CALEXICO-Gebläse, Traditional, Indie, Folk und Singer-Songwriter befinden. Und nicht in einer einzigen Schublade verstecken sich irgendwelche stinkenden Socken. Nein, hier müffelt nichts oder wirkt stocksteif. Alles ist kunterbunt, farbenfroh und astrein, aber trotzdem kein Schonwaschgang für die Ohren, sondern heiß und geschleudert. Doch statt mit Wasser zu spülen, werden Tränen verwendet. Sehr oft klingt ein Schuss „Cello“-Trauer in dieser Musik mit, der man sich gerne hingibt, ohne Gefahr zu laufen, in eine Depression zu verfallen, denn da holen uns ganz schnell Flügelhörner und Trompeten wieder raus oder Banjo sowie Mandolinen, die uns vor sich hertreiben genauso wie ein Cowboy mitten in der Steppe ein Wildpferd, welches er mit seinem Lasso einzufangen versucht.
Die Texte dagegen versetzen uns diesmal in noch stärkere Nachdenklichkeit und drehen sich fast durchgängig um die Schattenseiten des Lebens. Alkohol- und andere Süchte in „Wistful Smiles“ zum Beispiel, oder die Schrecken der Einsamkeit, in „Blue Devil“ und „No Trail“, aber auch Minderwertigkeitskomplexe auf „Box, Bar & Diamond“ bis hin zur völligen Lebensmüdigkeit in „Less“, welches zur Erkenntnis führt: „I know my life had gone to waste.“
Allerdings gibt es auch eine echte, den Hörer anfangs in die Irre leitende Schwäche auf dieser musikalischen „Schachtel, die eine Bar mit Diamanten“ verziert. Während der erste Song deutlich an „Shooting Ghosts“, so eine Art Country-Pop-Song ihres Debüts erinnert, setzt der Nachfolger „Less“ noch einmal eine gehörige Country-Portion hinterher. Damit kommt der Verdacht auf, OCHRE ROOM würden diese musikalische Hoppe-Hoppe-Reiter-Strategie für sich entdeckt haben - auch wenn sie uns kurze Zeit später wie selbstverständlich Lügen strafen. Nur leider wird ab diesem Zeitpunkt jeder Musikfreund mit notorischer Country-Antipathie „Box, Bar & Diamond“ bereits wieder aus der Hand gelegt und von seinem Ohr entfernt haben. Was er dann allerdings verpasst, wird in den ewigen indianischen Abgründen auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Und das wäre verdammt schade bei solch einem gelungenen Album.
FAZIT: „Evening Coming In“ war der erste Streich und mit dieser CD folgt der zweite zugleich! Da bleibt nur zu hoffen, dass in Kürze aller guten Dinge drei sein mögen und OCHRE ROOM ein weiteres Album dieser Qualität nachlegt und der Welt beweist, dass man auch aus Finnland kommen kann um richtungsweisenden Americana-Sound zum Leben erwecken zu können!
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 21.05.2014
Tomi Moiso
Minttu Tervaharju, Laurl Myllymäki
Ari Savolainen, Lauri Myllymäki
Lauri Myllymäki
Antti Leikkanen
Tanja Peltonummi (Trompete & Flügelhorn), Aino Palosaari (Cello), Antti Heermann (Violine), Ville Rauhala (Kontrabass), Ville Houttu (Pedal Steel)
Beste! Unterhaltung / Broken Silence
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02.05.2014