“Ein unglaublicher Schlagzeuger. So kreativ, kaum zu glauben“, sagt QUINCY JONES über OLLIE HOWELL und ist neben JIMMY COBB einer seiner Förderer. 2009 wurde er auf den jungen Drummer aufmerksam, in jenem Jahr, in dem für HOWELL ein neurochirurgischer Marathon begann, nachdem eine Hirnfehlbildung diagnostiziert wurde. Auf das dreijährige Martyrium (mit positivem Ausgang) nehmen der Albumtitel „sutures and stitches“ („Nähte und Stiche“) und die Namen der Tracks Bezug.
Was als Erstes auffällt, HOWELL ist kein Egomane, der sich auf Teufel komm raus in den Vordergrund spielt. Egal, ob er führt oder sich im Hintergrund hält, sein Schlagzeug streichelt oder heftiger zuschlägt, jeder seiner Mitmusiker bekommt Zeit und Raum zu brillieren. Ob solistisch oder im Ensemble tut nichts zur Sache, denn Beides gelingt vorzüglich. Streng und kantig wie zu Beginn zum Morse-Rhythmus von „Later On“ (oder ist es kontrollierende Ticken eines medizinischen Geräts?), im späteren Verlauf sachte wie beim „Bass Intro“, im steten Fluss (das Piano beim tröstlichen „For Anya“) oder die etwas heftigeren, gerade im Zusammenspiel volltönenden Parts, geprägt von Trompete und/oder Saxophon („Beyond“, das sowohl ein explosives Saxophon-Solo wie ein präzise getimtes Klaviervorspiel bietet, das aggressive „Angry Skies“, das traurige und mild hoffnungsvolle „19th Day“ sowie der vielschichtige Mittsommernachts-Blick Richtung Schweden „Dear Old Stockholm“).
Das ist moderner, akustischer Jazz, der leichtfüßig auf Gitarren verzichten kann, zwischen THELONIOUS MONK und beinahe skandinavischer Melancholie streift, zusammengehalten vom agilen, aber nie exaltierten, rhythmischen Kopf des Ganzen, OLLIE HOWELL. Gleichzeitig gelingt es dem Album, die Geschichte einer Heilung zu erzählen.
FAZIT: Der vierundzwanzigjährige Schlagzeuger OLLIE HOWELL ist der organisierende und prägende Geist hinter „sutures and stitches“, der sich auf bestens aufgelegte Sidemen verlassen kann. Ein starkes Debüt, moderner Acoustic-Jazz, der anfangs ein wenig spröde wirkt, aber mit jedem Hördurchgang aufblüht. Sehr gut produziert und klanglich ein Genuss, der sich bewusst Verweigerung dem ‚Loudness War‘ verweigert.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 22.10.2014
Max Luthert
Matt Robinson
Ollie Howell
Duncan Eagles (tenor sax), Mark Perry (trumpet)
Whirlwind Recordings/Indigo
72:22
10.10.2014