Auf den ersten Blick erscheint der Name RAY COOPER nur einer unter vielen singenden, musizierenden Songwritern zu sein, doch bereits der zweite Blick offenbart uns, dass wir es hier mit „Chopper“ zu tun haben, der von 1989 bis 2013 Mitglied bei einer der wohl bekanntesten britischen Folk-Rock-Bands, der OYSTERBAND, die er am Bass, dem Cello und beim Gesang begleitete, war. Mit „Palace Of Tears“ dürfen wir bereits seinem zweiten Solo-Album, das nach dem recht rauen, sperrigen „Tales Of Love, War And Death By Hanging“ regelrecht ruhig und entspannt daherkommt.
RAY COOPER ist als Schotte nicht nur ein in guter schottisch-irisch-traditioneller Art singender Musiker, sondern auch Multiinstrumentalist, der neben dem bereits erwähnten Cello, durch das er der OYSTERBAND eine ganz spezielle Note verlieh, auch Bass, Gitarre, Kantele, Harmonika, Harmonium, Fiedel und Mandoline spielt sowie alle Percussions bedient. Zusätzlich wird er noch an Piano und Orgel sowie von zwei Violinen begleitet. Schon bei dieser Instrumentierung wird klar, dass sich viele der Songs in der schottisch-irischen Folk-Rock-Tradition bewegen, die wir so bereits bei der OYSTERBAND liebten.
Eigentlich müsste jeder einzelne dieser zehn Songs besprochen werden, denn alle haben nicht nur eine musikalische, sondern auch textliche Tiefe, wovon man sich anhand des 20seitigen Booklets, welches dieser CD im Digi-Pack beiliegt, überzeugen kann. Dieses umfangreiche Booklet mit allen Texten, von denen unter lyrischem genauso wie poetischem Blickwinkel jeder faszinierend ist, vollendet den positiven Gesamteindruck von „Palace Of Tears“. Zusätzlich fügt „Chopper“ darin jedem Text noch kürzere oder längere persönliche Bemerkungen bei. Solche Akribie und Akkuratesse wünscht man sich heutzutage von einigen Songwritern, die leider nur mit deutlich weniger Sorgfalt an ihr eigenes Werk herangehen. Doch genau das macht eine wahren Liedermacher aus: er hat nicht nur etwas zu singen, sondern mindestens genauso viel zu sagen und nach Möglichkeit sogar zu kommentieren.
Ganz besonders überraschend für mich als Ex-Ossi ist natürlich, dass sich „Palace Of Tears“ auf eine Gebäude bezieht, welches durch diesen traurigen Spitznamen Ost-West-Berliner Geschichte schrieb. Der „Tränenpalast“ war ein Grenzübergang, über den die „freien“ Westberliner zu Mauer-Zeiten die dahinter „gefangenen“ Ost-Berliner für kurze Zeit besuchen konnten. Bei ihrer Rückkehr in die Freiheit spielten sich an diesem Grenzübergang dann häufig schrecklich traurige Abschieds-Szenen ab, bei denen auch jede Menge Tränen flossen. So bekam das Grenzgebäude dort im Berliner Volksmund den Namen „Tränenpalast“ verpasst: „Das Stahltor schließt sich hinter mir / Wie der Bolzen einer russischen Waffe / Ein Teil der Mauer umgibt uns / Verhindert jede Flucht ...“ Zu diesem Text werden zusätzlich noch melodramatische Streicher ergänzt, die dem Lied eine traurig-beängstigende Atmosphäre verleihen und ihn weitertragen bis zu dem Punkt, an dem der Mauerfall besungen wird: „Jetzt sind die Zollstellen abgerissen. / Die Stadt hat überlebt. / Die Verlierer und Gewinner / Fahren einfach fort mit ihrem Leben.“
Eröffnet wird das Album durch „A Line In The Sand“ mit einer sich sofort einprägender Piano-Melodie sowie Cello und Gesang. Ein trauriger, bewegender Song über die Zerstörung der Natur durch rücksichtslose Öl-Förderung, versehen mit einem Zitat von George Bush: „Dieser Krieg geht um‘s Öl!“ - ja, da waren die Amis noch etwas ehrlicher als heute, all den Größenwahn natürlich inklusive.
Jedes einzelne poetische Kunstwerk - genauso müssen diese Texte wirklich genannt werden - trägt RAY COOPER mal mit zerbrechlicher, dann wiederum mit fester, fordernder Stimme vor, die in vielen Facetten ihren Ausdruck findet.
Unverkennbar in der Musik von „Palace Of Tears“ ist auch die Tatsache, dass der Schotte Cooper seinen derzeitigen Lebensmittelpunkt nach Skandinavien verlagert hat - genauer in die Wälder Schwedens. So wird das gesamte Album von skandinavischen Musik-Winden durchweht, wobei „Chopper“ auch auf die schwedische Fiedel und die finnische Kantele zurückgreift - aber auch seine schottischen Wurzeln verleugnet er zu keiner Zeit, was wir unüberhörbar in „Sleeping Giants“ feststellen können. Und in „Calling The Doves“ stimmt er gar eine Lobeshymne auf eine seiner Lieblingsstädte an - Hamburg!
Selbst der uns Kritikern beiliegende Promo-Zettel ist voller Liebe gestaltet sowie in englischer und deutscher Sprache verfasst, sodass ich als Dankeschön an so viel liebevolle Details hier vor meinem Fazit den letzten Absatz zitieren möchte:
„Den größten Raum auf dem Album nimmt Coopers Walheimat Schweden ein. Inspiriert von der Weite der Landschaft und der Tiefe der Wälder spürt der Musiker fantastischen Sagengestalten nach, die dort gestern wie heute ihr Unwesen treiben. Manchmal bringt aber auch ein simples Foto den Künstler dazu, einen Song zu schreiben. So wie ein 1885 aufgenommenes Bild, das eine Menschentraube vor dem Rathaus in Coopers Wohnort Malmköping zeigt. Die jungen Leute haben ihre guten Kleider an, vermutlich werden sie am Abend tanzen gehen und vielleicht lernen sie ja dort ihren zukünftigen Lebenspartner kennen. Im Lied ‚The King‘s Birthday / Maarit‘s Waltz‘ geht es um die junge Frau in der Mitte des Fotos. Was wohl aus ihr geworden ist?“
Natürlich überraschen uns in diesem Song dann auch jede Menge Walzer-Rhythmen!
FAZIT: Wie man hier lesen und bei RAY COOPER hören kann, gibt‘s auf „Palace Of Tears“ viel zu entdecken. Ein Album, für das man sich Zeit nehmen muss - erst so entwickelt es seine gesamte Schönheit. Für diejenigen, die keine Zeit dafür haben, ist „Palace Of Tears“ aber genauso empfehlenswert, denn selbst als anspruchsvoller Musikhintergrund eignet sich diese CD ausgezeichnet.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 02.09.2014
Ray Cooper
Ray Cooper
Ray Cooper
Gustav Andersson
Ray Cooper
Jenny Tidman & Patrik Andersson (Violinen), Rowan Godel (Harmonie-Gesang)
Westpark Music
47:51
29.08.2014