Eigentlich ist ‚Progressiv‘ in der Verbindung mit ‚Rock‘ bereits ein Paradoxon. Noch paradoxer wird es, wenn man bedenkt, dass sich die vorgebliche Progressivität durch eine Rückbesinnung auf Musik auszeichnet, die noch älter als die Anfänge des Rock’n’Roll sind. RESISTOR, die Band um den ‚SAMURAI OF PROG‘ Steve Unruh, haben einen leuchtenden Stern am Firmament, der immerhin aus dem zwanzigsten Jahrhundert stammt. Sein Name: JETHRO TULL. Beziehungsweise IAN ANDERSON als deren Schöpfer.
Darauf verweist (nicht nur) die Querflöte, zu der Unruh gelegentlich greift. Doch lieber und öfter spielt er Violine, womit gleich klar ist, dass JETHRO TULL zwar Einflussgeber sind, aber beileibe nicht kopiert werden. Die Musik auf „To The Stars“ besitzt die Kernigkeit der frühen Werke TULLs, die Vorliebe kräftigen Rock mit fragilem Folk zu paaren sowie den Tasteninstrumenten nicht so viel Raum beizumessen wie andere Oheime des Prog. Was bei RESISTOR konkret heißt, sie kommen ganz ohne Keyboards aust. Stattdessen: Stimulierendes Spiel zweier Gitarren, ein prägnanter Bass und schmissige Drums, aufgelockert durch die bereits erwähnten Beiträge von Violine und Flöte. Wobei Unruhs Geigenspiel näher bei Graham Smith als Robbie Steinhardt oder David Ragsdale angesiedelt ist.
Als Sänger sticht Unruh Ian Anderson glatt aus, er erinnert an FISCHER Z-Kopf John Watts, was der Musik eine ganz eigene Note gibt. Gleich das Titellied zum Einstieg ist ein furioser Parcoursritt, bietet Wah-Wah-Gitarren und Flirts mit Funk, bevor gegen Ende die Violine für klassische (Prog)-Elemente sorgt. Aufgrund des Keyboard-Verzichts bleibt die Produktion angenehm luftig und ein bisschen sperrig, was den heftigeren Passagen sehr zugutekommt, während die sanften Sequenzen auf charmante Art spröde bleiben. RESISTOR können munter drauflos rocken, mit Metal hat die Musik wenig am Hut; die Band setzt weniger auf Tempo und Härte als auf Atmosphäre und Abwechslungsreichtum, was selbst in den Songs, die die zehn Minuten Grenze knacken, funktioniert. Wobei das abschließende „The Boy With His Brain Out In Space“ ein wahres Wechselbad der Stimmungen und Gefühle ist.
FAZIT: RESISTOR sind so etwas wie die großen Unbekannten im Prog, immerhin ist “To The Stars” bereits das fünfte Album (inklusive der „Live At The Rosfest“-CD), doch weiterführende Spuren der vorangegangenen Werke zu finden ist gar nicht so einfach. Die amerikanische Band präsentiert eine angenehm entschlackte Prog-/Folk-Interpretation, die JETHRO TULL viel zu verdanken hat, doch in ihrer Vielfalt, die Klassik, Funk, Spacerock und New Wave stimmig einbezieht, über eine nachgeborene Kopie hinausgeht.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 21.07.2014
Rob Winslow
Steve Unruh, Barry Farrands
Steve Unruh - linker Kanal, Fran Turner - rechts
Barry Farrands
Steve Unruh (violin, flute)
Eigenproduktion/Just For Kicks Music
59:27
30.05.2014