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Talking To Turtles: Split

Stil: Schildkröten-Pop, der viel zu erzählen hat

Cover: Talking To Turtles: Split

Sie sind die wohl am meisten unterschätzten Tiere des Universums, denen der Ruf vorauseilt, träge und langweilig sowie kaum beachtenswert zu sein, außer sie landen bei einem als Suppe auf dem Teller oder als Zeichentrick-Teenage-Mutant-Ninjas im Kino. Manchmal sind sie sogar hammerhitmäßig „Happy Together“, wenn sich eine englische Rockband in den 60ern nach ihnen benennt, selbst wenn der rockmusikalische Bestand von THE TURTLES gerade mal bis 1970 reicht. Wir haben schon seltsame Vorstellungen von diesen Reptilien, die eigentlich eine der außergewöhnlichsten Tierarten überhaupt sind, die seit über 220 Millionen Jahren (!) unsere Erde bevölkern! Schildkröten leben im Wasser und auf Land, sind Vegetarier und zeigen uns Menschen locker ihre Stinke-Kralle, weil sie nicht nur mit 175 Jahren deutlich älter als wir werden, sondern ihre nächsten Verwandten auch uns schwer beeindrucken und verängstigen: die Krokodile. Es verbirgt sich viel Beeindruckendes und Entdeckungswürdiges hinter diesen, wenn man sich mit ihnen nur mal intensiver befasst, faszinierenden Tieren, deren größte Gefahr mal wieder angeblich Gottes Schöpfung ist - der Mensch. Gleiches gilt nunmehr auch für die Musik einer Band, die in ihrem Namen diesen vielseitigen Kiefermäuler verewigte und nach „Split“ höchstens Gefahr läuft, von einer DSDS (ver)bohl(t)en Musikkultur oder hippen Hoppern bzw. heileweltverschlagerten Zeitgenossen unbeachtet zu bleiben. Bleibt nur zu hoffen, dass TALKING TO TURTLES sich von solchen „Musikkennern“ nicht unterkriegen lassen und aussterben!

Nunmehr spricht also ein Musik-Duo aus dem Osten Deutschlands zu den Schildkröten und haut einen dabei regelrecht von den Socken oder aus dem Panzer. Das hat mehrere Gründe, die genauso vielfältig sind wie die über 320 Schildkrötenarten, welche unsere Welt bevölkern und von der gerade mal eine in Deutschland vorkommt: die europäische Sumpfschildkröte. Parallelen zum deutschen Radio-Musik-Sumpf sind da durchaus erkennbar, obwohl ich mindestens einen Sender kenne, der ein Album wie „Split“ locker zur CD der Woche machen könnte: radio eins! Und wer TV Noir kennt, der weiß auch, wo sich TALKING TO TURTLES im Fernsehen wohl fühlen würden, neben solchen noch immer unentdeckten deutschen Größen wie HUNDREDS, ALIN COEN, BOY oder ME AND MY DRUMMER.

Gesanglich reicht FLORIAN SIEVERS mit seiner außergewöhnlich charismatischen Stimme locker den MUMFORD & SONS das Wasser und eine Band wie die HUNDREDS wären die instrumentale Umrahmung mit ihrem verspielten Faible für Electronics und kristallklare Akustik. Musik also, die sich nie dem Pop verschließt, ihn aber auf eine Ebene hebt, den so viele hypeschwangere Missgeburten, die über rote Teppiche flanieren, nie erreichen werden. Künstlich geschaffene Figuren eben, die dem Begriff Pop dadurch einen so beiläufig abwertenden Missklang bescheren und sich dadurch bedeutende Aufmerksamkeit erhoffen, weil sie sich unter facebbok beim Pissen in der Hockstellung ablichten lassen wie eine Miley Cyrus. Das ist nämlich kein Pop. Das ist Kommerz auf Kosten des Pops.

Pop ist schön! Pop geht ins Ohr! Pop hat Texte, die was zu sagen haben! Pop ist die Kunst, Melodien zu gebären, denen musikalische Ewigkeit innewohnen kann. Pop sind mit dieser Definition nicht nur die BEATLES! Pop sind auch die TALKING TO TURTLES - ein ostdeutsches Herz, dessen Schläge man längst bis nach Amerika hört, auch ohne NSA-Stasi-Abhörmethoden!

Pop sind so wundervolle Melodien wie „Gravity“ oder „Passenger Seat“, aber auch viel Melancholie wie auf „Gold“ oder „Shoelaces“.

FAZIT: Und am Ende, nach dem x-ten Hördurchgang von „Split“, gelangen wir zur Erkenntnis, dass dieses deutsche Duo nicht nur von ihrer Art und dem Auftreten her an ein anderes Duo, allerdings aus Newport (Australien), welches sie sogar schon supporteten, erinnern, sondern eine Art deutscher Entsprechung davon sind: ANGUS & JULIA STONE, die garantiert auch Gespräche mit den Schildkröten führen!

Punkte: 11/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 15.08.2014

Tracklist

  1. Gravity
  2. Passenger Seat
  3. Gold
  4. Fling
  5. Safetyville
  6. Boys
  7. Green
  8. Waves
  9. Play-Doh
  10. Shoelaces

Besetzung

  • Gesang

    Florian Sievers, Claudia Göhler

  • Gitarre

    Florian Sievers

  • Keys

    Claudia Göhler

Sonstiges

  • Label

    Devil Duck Records

  • Spieldauer

    37:51

  • Erscheinungsdatum

    15.08.2014

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