Ein (gelungenes) Experiment und seine Folgen - so lässt sich die Entwicklung von THE BEAUTY OF GEMINA wohl am trefflichsten beschreiben. Im Interview zum Akustikalbum "The Myrrh Sessions" deutete Bandkopf Michael Sele schon an, dass der eingeschlagene Weg fortgeführt werden soll und "Ghost Prayers", das sechste Album der Band, belegt dies. So viele Gitarren und so vergleichsweise wenig Elektronik gab es auf einem regulären Studioalbum bislang nicht - man muss also durchaus von einem Kurswechsel sprechen, auch wenn THE BEAUTY OF GEMINA noch immer ohne weiteres als solche zu erkennen sind.
Dafür sorgt natürlich Seles leicht nuschelige, sonore Stimme und auch die Harmonien und Gesangslinien sind typisch - verändert haben sich in erster Linie die Herangehensweise und die Arrangements. Wo früher die Synthesizer dominierten und die Gitarren lediglich Akzente setzen, ist es nun genau andersherum: akustische und elektronische Gitarren führen die Songs, ein natürliches Schlagzeug gibt den Takt vor und die Keyboards werden zur dezenten Begleitung eingesetzt. Die Musik klingt dadurch natürlicher, rockiger und auch folkiger. Ab und zu fühlt man sich dabei ein bisschen an THE MISSION erinnert, was keineswegs nachteilig ist, man stellt aber auch fest, dass die Einzigartigkeit des Sounds von THE BEAUTY OF GEMINA nicht mehr ganz so stark ausgeprägt ist, wie früher.
An der Tatsache, dass Sele ein überaus talentierter Songwriter ist, ändert die neue musikalische Herangehensweise natürlich nichts - wenngleich nicht jeder Song so zwingend ist, wie man es eigentlich gewohnt war. Los geht es mit "One Million Stars", einem flotten, folkigen Rocksong mit feiner melancholischer Note. Tanzbarer und mit toller Melodie gestaltet sich "All Those Days" mit eindringlichen Leadgitarren, eine tolle Nummer. Ruhig dahinschwebend ist "Hundred Lies" eine klagende, atmosphärische Nummer, während das metaphorisch schön betitelte "Dancer On A Frozen Lake" waviger und mit heller Note in den Melodien etwas unauffälliger bleibt. "Run Run Run" prescht dann wieder mit gehobenem Tempo und einem ganz starken Refrain hervor und ist abgesehen von der veränderten Instrumentierung ein typischer Track - so typisch, das man fast von einem Selbstzitat sprechen muss.
"Down By The Horses" erinnert mit seinem dezenten Americana-Einschlag an die fantastische akustische Umsetzung von "Dark Rain", "When We Know" ist eine ganz ruhige Nummer, in der neben dem Gesang nur die Akustikgitarre und Streicher erklingen. Im schnellen Dreivierteltakt ist auch "Dragon" eine Variation bekannter TBOG-Harmonien und -Gesangslinien, spannender ist da das eindringlich betitelte "I Wish You Could Die", das mit seinem wavigen Gothic Rock und der traurigen Note ein Höhepunkt ist. "Time For A Heartache" zieht das Tempo zwar an, sticht aber nicht heraus. Im Gegensatz zur vorab ausgekoppelten Single "Mariannah", einer tollen Folknummer mit schönem Akkordeon-Einsatz. Das abschließende, elfeinhalbminütige "Darkness" zieht in Sachen Eindringlichkeit und Melancholie nochmal alle Register, erinnert dezent an DIARY OF DREAMS und ist ein wunderschöner Song zum drin Versinken.
FAZIT: Die stilistische Änderung war zu erwarten und steht THE BEAUTY OF GEMINA über weite Strecken gut zu Gesicht, birgt jedoch die Gefahr, dass Fans der ersten Stunde daran zu knabbern haben, denn vom elektronischen Dark Wave ist nicht mehr viel übrig. Ein wenig hat darunter auch die düstere Intensität der Musik gelitten, wenngleich die Handschrift unverkennbar bleibt. Doch auch wenn man mit Änderungen kein Problem hat, so kommt man nicht umhin festzustellen, dass nicht alle Songs die gewohnt hohe Qualität haben und "nur" gut sind, weshalb letztlich auch "nur" elf Punkte zu Buche stehen. Damit bleiben THE BEAUTY OF GEMINA zwar eine Band mit Ausnahmestellung, in der eigenen Diskografie ragt "Ghost Prayers" jedoch nur stilistisch heraus.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 10.03.2014
David Vetsch
Michael Sele
Michael Sele, Marco Gassner
Michael Sele
Mac Vinzens
NoCut/SPV
63:24
21.02.2014