Über die großartige und schwierige Arbeit von Polens Vorzeige-Metaller Nergal und seinen Kampf für eine erstaunlich große Black-/Death-Szene in einem nach wie vor sehr konservativ-religiösen Land zu schreiben, würde zu weit führen. BEHEMOTH gehören aber unbedingt an den Beginn dieses UNEARTHLY-Reviews. Letztere stammen zwar aus Brasilien, haben damit aber wohl ähnliche gesellschaftliche Strukturen, was Religion angeht. Und wie viele andere scheint auch diese Truppe ähnliche Empfindungen zu dieser Gesellschaft und ihren Einschränkungen zu hegen, und will diese mit den gleichen musikalischen Mitteln ausdrücken. „Flagellum Dei“ vermittelt aber zu keiner Zeit den Eindruck, als hätten UNEARTHLY dazu eigene Gedanken entwickelt. Schon beim Bandfoto muss man zweimal hinkucken, um Unterschiede zu Nergals Mannschaft zu entdecken.
UNEARTHLYs viertes Album wurde bereits 2011 in Polen (ach was!) eingespielt und war bisher nur in Brasilien, Russland und der Ukraine erhältlich. Es beginnt noch mit einigermaßen Spannung verbreitenden Akustikgitarren, die in einen typischen Black-/Death-Kracher überleiten. Als Vorbild dient ein Kompositionsmuster aus der „Apostasy“-Phase von BEHEMOTH: Fast durchgehendes Traktieren der leeren E-Saite, dazwischen mollige Melodieschnipsel, die die Gitarren im Oktav- oder Terzabstand schrammeln, ein paar Tempowechsel und parallele Growls und Screams in den Refrains. Das Ergebnis ist die erwartete Vollbedienung für Freunde moderner, extremer Dunkelkunst. UNEARTHLY begehen allerdings den Fehler, zu glauben, diese Mischung würde elfmal hintereinander funktionieren und entfesseln schon ab der zweiten Nummer den Gähn-Dämon.
Ein paar überflüssige, da nicht weiter verarbeitete Keyboard- und Elektrospielereien als Intro helfen da ebenso wenig wie das völlige Fehlen eigener kreativer Ansätze. In Breaks wird bis zum Erbrechen auf der erwähnten leeren E-Saite herumgeritten, die Rhythmen dafür dreist von DIMMU BORGIR und Co. wortwörtlich kopiert. Die Refrains haben Schüttelreim-Länge und gehen einem mit ihren zahllosen Wiederholungen recht bald ziemlich auf die Nüsse. Sänger Felipe Eregion bekommt einen mülltonnengroßen Effektzylinder übergestülpt und mogelt sich so über eine recht substanzlose Grundstimme hinweg.
Man könnte das im Notfall als sehr akkurate Stiltreue bezeichnen, im Grunde ist es aber einfach nur extreme songschreiberische Beschränktheit. Und ja, „Flagellum Dei“ ist einwandfrei eingespielt und produziert, das macht die Langeweile aber nur noch schlimmer. Da hatte selbst der Vorgänger „Age Of Chaos“ mit Einsprengseln von KRISIUN und norwegischem Black Metal dank seiner aggressiven Grundstimmung wesentlich mehr Potenzial.
Erfrischungen für's Ohr wie schleppende Grooves, Melodien mit mehr als fünf Tönen oder anders gestrickte Zwischenteile existieren hier auf „Flagellum Dei“ dagegen nicht mehr. Außer, man betrachtet die Lachnummer „Limbus“ als Ausnahme, die so entstanden sein muss: Während M. Mictian und seine Bande für's Mittagessen einen Christen besorgen, gibt sich der Tontechniker seiner heimlichen Leidenschaft hin und hängt sein Didgeridoo ans Delaygerät. Schlagzeuger B. Drumond im Nebenraum denkt, das nächste Stück beginnt und haut einen Introfill nach dem anderen raus. Als nach zwei Minuten immer noch kein Gesang einsetzt, knüppelt er wie gewohnt drauf los. Nach einer weiteren halben Minute ist der Spuk vorbei. Der Song wird vom Hörer weitergeführt, der vor lauter Verständnislosigkeit („Ist das Kunst oder kann das weg?“) den Kopf noch ein Weilchen im Blast-Tempo weiterschüttelt.
FAZIT: Merke: Was bei Rastas und DIE AMIGOS-Fans als Qualitätsmerkmal gilt (jeder Song so gut oder so schlecht und so gleich wie der erste) ist im Black-/Death der Stoß in die unendlichen Weiten der Belanglosigkeit. Den Langweiligsten beißen die Hunde …
Punkte: 6/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 23.05.2014
M. Mictian
Felipe Eregion
Felipe Eregion, Vinnie Tyr
B. Drumond
Metal Age Productions
45:13
21.05.2014