Kip Winger muss sich jahrelang so gefühlt haben wie deutsche Volksmusiker der Kategorie Roy Black: Gegen den eigenen Willen gefangen in einem musikalischen Korsett, das allerdings Erfolg und materielle Sicherheit garantierte. Ende der 80er, Anfang der 90er-Jahre wurde die nach ihm benannte Band im Zuge der Hairspray-Welle auch durch MTV und Co. weltberühmt, der Sänger und Bassist allerdings wollte nie so richtig in die Poserrock-Szene passen. Erst Jahre später rehabilitierte er sich mit gewagten, progressiven Songs, die mit der Frühphase der Band nichts mehr zu tun hatte.
Mit dem Vorgänger „Karma“ folgte eine erneute Kurskorrektur, die WINGER zwar musikalisch weiterhin ambitioniert, aber durchaus deftig zeigte. Und „Better Days Comin‘“? Das sechste Album ist musikalisch nochmals breiter aufgestellt. Barrieren und Grenzen scheint es für Kip Winger und seinen Gitarrengenius Reb Beach nicht zu geben: Zwar gibt es durchaus flotte Hardrockhits („Queen Babylon“!), die allerdings nur am Rande etwas mit „In The Heart Of The Young“ und Konsorten zu tun haben, doch die wahren Highlights dieser Scheibe sind die Songs, die abseits altbekannter Pfade wandeln. „Tin Solider“ ist Progressive Rock in Reinform, „Ever Wonder“ ist eine wunderschöne Popnummer, die auch im Mainstreamradio Gehör finden würde, der Titeltrack versteigt sich zu einer locker-flockigen Hippie-Nummer, „Rat Race“ würde sich mit einem leicht veränderten Arrangement auch gut auf dem letzten GAMMA-RAY-Highlight „Empire Of The Undead“ machen. Und über allem thront die unvergleichliche Gitarrenarbeit Reb Beachs, der immensen Anteil an den oftmals glänzenden Kompositionen hat – ganz zu schweigen von der kraftvollen Stimme des Bandleaders, die auch 2014 nichts an Volumen eingebüßt hat.
FAZIT: Zwischen allen Stühlen? Ach was! WINGERs „Better Days Comin‘“ ist ein Lehrstück in Sachen musikalischer Offenheit. Wo andere Bands alleine auf die Wünsche der Zielgruppe schielen und bar jeder Spontaneität stur ihren limitierten Stiefel durchziehen, machen Kip Winger und Co. nur das, worauf sie Lust haben. Und alleine dafür muss man „Better Days Comin‘“ lieben.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 28.05.2014
Kip Winger
Kip Winger
Reb Beach, John Roth
Rod Morgenstein
Frontiers Records
49:05
18.04.2014