Natürlich sollte es eine Aufgabe von uns Kritikern sein, auf Musik aufmerksam zu machen, die sich dem Mainstream entzieht und für‘s Radio untauglich, weil eben was ganz Besonderes, oft sehr Ungewöhnliches ist. Wir müssen die Musik nicht über den grüne Klee loben, aber durchaus in ihr das Reizvolle entdecken und benennen, es nach außen tragen, damit die Aufmerksamkeit für solche Musik geweckt wird.
Mit genau diesem hehren Ziel bin ich auch an „Hunger . Stille“ von ZINNSCHAUER herangegangen - aber ich scheitere jämmerlich. Denn wie sehr ich mich auch auf dieses Album einzulassen versuche, ich entdecke einfach nur sehr wenig Reizvolles daran.
Viel akustische Gitarre und eigenartiger Gesang, der mal ruhig-schief oder schreiend-ebensoschief vorgetragen wird, in guten Momenten sogar an HARALD BARETH von ANYONE‘S DAUGHTER erinnert, verbreiten permanente musikalische Hektik aus laut und leise. Oft hat der Hörer den Eindruck, als würde die Gitarre in die eine Richtung treiben, während sich die Stimme genau die entgegengesetzte Richtung ausgesucht hat. Klampfen und Drübersingen - dann diesem Durcheinander den Begriff „Märchen-Emo“ verleihen und fertig ist „Hunger . Stille“.
Natürlich gibt‘s dann auch noch Texte - deutsche Texte. Die Einen werden sie Poesie, die Anderen schwulstigen Schwachsinn nennen. Spätestens aber, wenn man die gesangliche Interpretation der Texte hört, stimmt man wohl den Anderen zu:
„Geborgensein, umarmt und jede Nacht der Arm, die Hand.“ - Aha?!
„Mein Kind ist Gold, aber tot. Wie oft noch?“ - Ach so!?
Es geht im Konzept dieses konzeptlosen Albums um die Zeit und die Zahnräder, die wie bei einer Uhr und zugleich auf dem Cover ineinander greifen. Doch jede Menge musikalischer Sandkörner verhindert deren aufeinander abgestimmtes Laufen. Die akustische, leidenschaftlich gezupfte, geschlagene, geklopfte Gitarre strahlt einen Reiz aus, der durch den Gesang jedes Mal zerstört wird. Dazu die versponnene, größtenteils pseudo-pessimistische Poesie lassen einem die knapp 37 Minuten oftmals zur Qual werden und es entsteht der Wunsch nach dem zweiten Wort des Album-Titels.
Mit diesem akustischen Screamo-Album fügen ZINNSCHAUER dem ohnehin schon schwer belasteten Screamo ein weiteres Klischee hinzu, das vielleicht beinharte Fans nicht abschreckt, Anderen aber wegen dem besonders unappetitlichen Schrei-Gesang garantiert nicht Hunger auf mehr macht.
FAZIT: Ein Genre-Album das aus akustisch ansprechenden Gitarrero-Fantasien und einfältigem, die Nervenstränge des Hörers strapazierendem Gesang besteht. Eine unharmonische, musikalische Antithese namens Märchen-Emo: Gitarren-Fee trifft auf Sanges-Hexe.
Punkte: 4/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 16.12.2014
Jakob Amr
Jakob Amr
Sjard Fitter (Sprechen & Schreien), Jonatan Lux (Schreien), Julia Kreft (Violine)
Kapitän Platte / Cargo Records
36:57
28.11.2014