Es gibt Leute, für die ist Brian Johnson auch nach 35 Jahren noch der „neue Sänger von AC/DC“. Diese Kategorie von Menschen wird vermutlich auch EUROPE immer noch und ausschließlich mit „The Final Countdown in Verbindung“ bringen. Dieser eine Hit fast schon tragischer Weite hängt den Schweden auch im Jahre 2015 noch nach – und ist angesichts der Qualität und der stilistischen Ausrichtung des neuen Werkes „War Of Kings“ irreführender denn je.
Wobei man zunächst mal festhalten muss: Die Art von Musik, die EUROPE nach ihrer Reunion im Jahre 2003 gemacht haben, hatte mit dem finalen Countdown auch schon weniger als nichts zu tun. Deutlich erwachsener, roher, ungeschliffener, schwerer, bluesiger, basischer, moderner klangen „Start From The Dark“, „Secret Society“, „Last Look At Eden“ und „Bag Of Bones“, doch erst mit „War Of Kings“ ist der Fünfer ganz offensichtlich da, wo er hinwollte. Deutlich wie nie sind die Einflüsse früher Rock-Heroen wie LED ZEPPELIN, DEEP PURPLE und BLACK SABBATH. Rohe, simple Gitarrenriffs, klassische Hardrockvibes, eine Produktion mit Live-Charakter – und über all diesen traditionellen Zutaten thronen die EUROPE-typischen Melodien, die unvergleichlich ausdrucksstarke Gitarre John Norums und natürlich Joey Tempests glockenhelle Stimme.
Keine Frage: EUROPE hätten es sich nach ihrem Comeback vor gut zehn Jahren deutlich einfacher machen können, doch finanzielle Anreize scheinen bei den Schweden nicht die Triebfeder gewesen zu sein – nur so kann man sich den langen Atem erklären, der den durchaus steinigen Weg von „Start From The Dark“ zu „War Of Kings“ ermöglicht hat.
Natürlich können jetzt besonders „schlaue“ Menschen auf die Idee kommen – hey, Classic Rock ist im Moment der angesagte Trend, klar, dass sich EUROPE an diesen Zug dranhängen. Wer allerdings die Wurzeln von Tempest, Norum und Co. kennt – der Gitarrist kehrte der Band sogar nach „The Final Countdown“ den Rücken, weil er im damaligen Bandsound seine gitarrenlastigen Wurzeln nicht mehr erkennen konnte – und wer die Entwicklung seit der Reunion betrachtet, der wird zu dem Schluss kommen, dass die zwölf Songs von „War Of Kings“, die allesamt auf einem unfassbar hohen Niveau agieren, durch und durch authentisch und glaubwürdig klingen. Egal, ob es eher ein dem Titel verpflichtetes, sonnig-luftig-leichtes „California 405“ ist, der wann-wird’s-mal-wieder-richtig-Sommer-Hit „Days Of Rock’n’Roll“, die erstaunlich schweren „Nothin To Ya“ und „Children Of The Mind“ oder die DEEP-PURPLE-Verbeugung „The Second Day“ – die Inspirationsquellen sind nicht sonderlich versteckt, aber EUROPE schaffen es, jeden der zwölf Songs nach EUROPE klingen zu lassen. EUROPE 2015 – nicht EUROPE 1986.
FAZIT: Die Hardrock-Scheibe des Jahres? Bis jetzt auf jeden Fall, und die Konkurrenz muss sich verdammt nach der Decke strecken, um den Krieg der Könige noch zu gewinnen.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 17.03.2015
John Levén
Joey Tempest
John Norum
Mic Michaeli
Ian Haugland
UDR
55:41
06.03.2015