Nach längerer Abstinenz wollen wir heute einmal wieder das Buch der vergessenen Kleinode aufschlagen.
Die Texaner FACE OF ANGER lieferten 1999 einen für dieses Jahrzehnt typischen musikalischen Entwurf ab. Damit waren sie für Traditionsmetaller, die dem Stil und Spirit der Achtziger anhingen, naturgemäß ungenießbar, zu ihrem Unglück aber auch bereits zu spät dran, um noch etwas vom Neunziger-Groove-Hype abzugreifen. Obwohl – oder gerade weil – es in zeitgenössischen Kritiken zum guten Ton gehörte, die Scheibe zu verreißen, gebührt dem einzigen Album der Band jedoch zumindest posthum ein wenig Aufmerksamkeit. „Faceless“ ist nämlich keinesfalls schlechter als die Platten der damaligen Zugpferde von PRONG bis STUCK MOJO.
Das Gitarrenspiel erinnert vor allem an die genannten Szenegrößen und bedient sich größtenteils simpler, ungeheuer fett in Szene gesetzter Wall-Of-Sound-Riffs inklusive gelegentlichem Southern-Anstrich (höre STUCK MOJO) und einem zu Tommy Victors quietschenden Pinch Harmonics passenden Industrial-Flair. Was der Truppe darüber hinaus eine gewisse Eigenständigkeit verleiht, ist der rauhe, soulige und ansatzweise gar Gospel-Anleihen verarbeitende Gesang von Frazier. Der Mann mag nicht den größten Stimmumfang haben, doch klingt er als weniger versierte, dafür kernigere Version von LIVING COLOURs Corey Glover ziemlich markant und bringt sein Programm überzeugend über die Rampe.
Beim Zusammenfahren ihrer Elemente beweist die Truppe schließlich das nötige Fingerspitzengefühl, um nicht im Setzkasten-Niemandsland unzähliger Stilkopisten zu landen (es soll nicht verschwiegen werden, dass uns die in kreativer Hinsicht glorreichen Neunziger auch Nullnummern wie SPINESHANK oder KILGORE bescherten). Knaller wie das treibende „Feeder“ (was für ein geiles, genial einfaches Hauptriff) wären eine Zierde für jede PRONG-Platte, in „Octane Jesus“ (noch so ein Riff) oder „Dead Man“ meint man die Hautfarbe des Sängers ganz besonders in seinen beseelten Linien auszumachen. Dem gegenüber stehen flotte Feger und Ohrwurmgarantien wie „Roachlist“, „Downcast“ oder die zwischen Melancholie und Grantigkeit pendelnde Wuchtbrumme „Concrete Hammerhead“, die, einmal gehört, so schnell nicht aus dem Hirnkasten zu bannen sind. Welche Stücke hier am Ende die persönlichen Favoriten abgeben, wird trotz der Nennung einzelner Titel Geschmackssache bleiben, denn Stinker gibt es nicht zu vermelden. Alle Songs bewegen sich auf stabil hohem Niveau, sind ausreichend abwechslungsreich, ohne größere Experimente oder kompositorische Ausreißversuche zu wagen. Das verleiht der Scheibe qualitative wie auch stilistische Kompaktheit, die hervorragend zu Wucht und Dichte der Songs im Einzelnen passt und zu Dauerrotation, Wohnzimmerpogo und Schleudertrauma geradezu nötigt. Warum dieses geile Teil von der Kritik so niedergemacht und von der Zielgruppe ignoriert wurde, was nicht zuletzt für die Kurzlebigkeit der Band verantwortlich gewesen sein dürfte, bleibt aus heutiger Sicht jedenfalls ein Rätsel.
FAZIT: Wer die Neunziger mit ihrer Soundwand- und Groove-Sucht vermisst, die Granden aber alle im Regal stehen hat und auf der Suche nach talentierten Hinterbänklern mit der nötigen kreativen Unterfütterung ist: Bitte sehr.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 19.08.2015
James Martin
Frazier
Publio Casillas
Dave Elias
Noise Records
51:26
19.08.1999