Vor genau zwei Jahrzehnten tauschten FEAR FACTORY wenig innovative Death Metal-Elemente gegen industriell gefertigten Hochglanzmetall aus und hatten damit über Nacht einen neuen Sound definiert. Wie auf "Demanufacture" klang sonst niemand, schließlich war auch schwer zu glauben, dass diese brachiale Präzision an der Instrumentenfront tatsächlich von humaner Hand geleistet werden konnte. Ende dieses Jahres geht die Band mit eben diesem Meilenstein auf ausgedehnte Europa-Tournee und bringt sich damit selbst in vermeidbare Erklärungsnöte. Zu den nun in den Fokus gesetzten Fragen gehört in erste Linie eine: Wie passt da ein so umfangreiches Projekt wie das neue Album "Genexus" in den Zeitplan?
Natürlich ist es verständlich, dass FEAR FACTORY jede Chance nutzen wollen, um bloß nicht in Vergessenheit zu geraten und jeder Fan freut sich natürlich mehr über zu viel Aktivität als gar keine. Das Marketingvorgehen kommt einem dann aber doch komisch vor, denn es entsteht leicht der Eindruck, FEAR FACTORY vertrauten ihrem neuen kreativen Output selbst nicht so ganz. Eleganter wäre eine Veröffentlichung Anfang 2016 gewesen, denn einen gewichtigen und Fans mobilisierenden Tourgrund für dieses Jahr haben sie ja schon vorzuweisen. So hätte man auch den selbstgesteckten Ambitionen eine bessere Bühne bieten können.
Mit "Genexus" stellen FEAR FACTORY nämlich ein weiteres Konzeptalbum in ihr nun schon neun Platten umfassendes Arsenal, das auch noch eine Graphic Novel von Frontmann Burton C. Bell an die Seite gestellt bekommt. Grob gesagt geht es um eine von "Blade Runner" inspirierte Story, die sich mit Bewusstsein entwickelnden Maschinen beschäftigt. Der Albumtitel soll auf Vergangenes und Zukünftiges hinweisen, insbesondere auch auf die Musik selbst bezogen. Mit Ersterem hat die Band recht behalten (die 90er scheinen wieder etwas kräftiger durch), aber machen wir uns nichts vor: Innovationen werden wir aus dem Hause FEAR FACTORY nicht mehr zu hören bekommen. Das muss ja nicht unbedingt gleich als etwas Schlechtes gedeutet werden, die Comeback-Scheibe "Mechanize" überzeugte schließlich mit schnörkelloser Heftigkeit, erzeugt aus den bekannten Trademarks. Aber selbstredend ist es von einer nicht von der Hand zu weisenden Ironie, dass den Science Fiction-Vorreiter im Metal schon lange nichts Fortschrittliches mehr einfällt.
Stakkato-Riffing, unmenschlich präzise Schlagzeugkunst, all das kann die junge Konkurrenz mindestens genauso gut, auch wenn sich diese nicht direkt im Industrial Metal tummelt. "Genexus" unterstreicht aber den Eindruck, dass sich FEAR FACTORY gerne wieder auf den eigenen Trademarks ausruhen. Da werden Songs mit ratternden Bassdrum-Figuren eingeführt (,Anodized‘, ‚Protomech‘, ‚Genexus‘), die industrielle Verzahnung mit der Saitenfraktion wird von Maschinengeräuschen unterstützt, hier und da wird gewollt furchtbar plastischer Pomp in Form von Streicher- und Bläser-Nachmachen platziert, kurzum eine Welt erzeugt, die gleichermaßen faszinierend wie abstoßend gestaltet ist. Auch nicht neu, aber bemerkenswert bleibt der häufigere Einsatz von Grooveelementen wie in 'Soul Hacker' und die hohe Schlagzahl an clean gesungenen Refrains, wahrscheinlich vom Vorgänger "The Industrialist" inspiriert. Richtiges Industrial-Feeling kommt in ‚Church Of Execution‘ auf, dessen sperrige Riffs wie Binärcodes eine virtuelle Umgebung zu erschaffen scheinen. Logischerweise funktioniert das alles größtenteils und immerhin gibt es wieder mehr wirklich Gutes und Eingängiges als auf dem Konzeptwerk von vor drei Jahren, doch trotzdem bleibt das neue Material viel zu berechenbar.
Fast jeder Song muss beispielsweise über einen poppigen Refrain verfügen, was nicht immer die beste Wahl ist und irgendwann in Verkrampfung mündet. Zu Beginn bewährt sich diese Herangehensweise noch, irgendwann fällt einem aber auch ein, dass Mr. Bell die cleanen Passagen live gar nicht mal so gut hinbekommt und sich oft verzerrenden Hilfsmitteln bedienen muss. Das kann dementsprechend durchaus als mutig gedeutet werden, zum Ende schlägt das Vorhaben allerdings in Übermut um. Die entscheidenden Momente in den drei finalen Songs sind süßer, belangloser, fast schon peinlicher Pop, der höchstens noch mit der Story zu rechtfertigen ist. Wählt man diesen Interpretationsansatz, so muss man aber auch feststellen, dass vom Konzept sonst nicht viel zu spüren ist. Jeder Song steht für sich und wird durch den Albumkontext nicht wirklich aufgewertet oder in ein anderes Licht gerückt. Oder anders gesagt: "Genexus" ist ein nettes FEAR FACTORY-Album, nicht mehr und nicht weniger.
Eine andere Frage, die immer wieder von verschiedenen Seiten aufgeworfen wird, ist die über den Einsatz eines Drumcomputers auf FEAR FACTORY-Alben. Ob es die dazugehörige Diskussion heutzutage wirklich noch geben muss, sei mal dahingestellt, viel interessanter ist aber, dass die Musiker selbst sich dazu immer wieder neu positionieren. Wer einen Drummer wie Gene Hoglan in seinen Reihen weiß, der braucht ein solches Programm eigentlich nicht, doch trotzdem kam es auf "The Industrialist" zum heiß diskutierten Einsatz. Nun ist Hoglan nicht mehr dabei, für ihn ist Mike Heller an Bord, der zumindest auf einigen Songs zu hören sein soll. Welche das sind und an welchen Stellen Gastschlagzeuger Deen Castronovo zu hören ist, darüber schweigen sich FEAR FACTORY aus. Dabei wäre es schon interessant gewesen, wo die Musiker auf das angestrebte „menschliche Feeling“ gesetzt haben.
FAZIT: FEAR FACTORY werfen mit ihrem neuen Album „Genexus“ zu viele Fragen auf, die sie einfach hätten umschiffen können. Lässt man die lästigen Diskussionen um Marketing und Drumcomputer außen vor, so sind die neuen Songs stärker als die auf dem Vorgänger und das obwohl auch hier ein Konzept hinter der Musik steht. So richtig ist dieses aber nicht zu erkennen, viel mehr vertrauen FEAR FACTORY auf ihre Trademarks und verbinden diese mit einer Menge Eingängigkeit. Das funktioniert gut, ist aber sehr vorhersehbar und wenn sich die Band dann doch mal etwas traut, wird es in der finalen Viertelstunde des Albums so poppig, dass es kaum auszuhalten ist. Insgesamt macht das ein gutes Album, das mit mehr Mut aber noch viel besser hätte werden können.
Punkte: 9/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 05.08.2015
Dino Cazares
Burton C. Bell
Dino Cazares
Mike Heller
Guest Drums - Deen Castronovo
Nuclear Blast
48:01
07.08.2015