Wenn ein junger Musiker Förderer wie Bass-Ikone Leland Sklar oder Produzent Steven Miller (u.a. Dave Matthews) hinter sich stehen hat, die schon alles erlebt haben, muss er etwas wahrlich Unerhörtes zu bieten haben, und so ist es im Fall von Ian Ethan Case tatsächlich: Der Bostoner Multi-Instrumentalist, der sich hier auf seine 18-saitige Doppelhals-Gitarre fokussiert, verwebt Loops, grenzenlose technische Experimente und traditionelle Liedstrukturen zu einem packenden Ganzen, das Maßstäbe nicht nur im Bereich Akustikgitarre setzt.
Case hat dieses Doppelalbum produktionstechnisch selbst realisiert und zeigt passend zum Format zwei Seiten seines Stils: CD eins beschränkt sich auf organisch gehaltene Akustikstudien ohne Sicherheitsnetz - what you hear is what you get -, wohingegen die zweite Scheibe fein gestrickte Klangflächen mit Loops im Live-Kontext bietet. Obwohl hier geslappt und überhaupt Griffbrettsport betrieben wird, kann von Hektik oder Angeberei keine Rede sein, denn der Künstler behält das melodische Moment stets im Auge, selbst wenn er noch so abseitige Flageolet-Töne erzeugt ("The Comforter") oder ausnahmsweise den Rhythmus in den Vordergrund stellt ("Aftershocks")
Anderswo bittet er zum Tanz ("The Circle") oder driftet beileibe nicht kopflos in epische Gefilde ab, gerade in der zweiten Hälfte der im Laufe von 19 Monaten aufgenommenen Sammlung (Beginn: Januar 2014). Die Loop-Etüden ziehen sich bis zu 13 Minuten lang und bleiben dabei überraschend aufgeräumt arrangiert, wobei Case auf beeindruckende Weise praktisch den ganzen (Ober-)Körper als Instrument oder dessen "Verlängerung" einsetzt. So lässt sich die Musik am Ende keineswegs schnöde einem Genre "nur für Gitarristen" zuordnen, sondern nur ganzheitlich begreifen, denn alles andere wäre zu kurz gegriffen. Da passt es insofern, als Case bereits mit anderen Neuerern wie dem Tiefton-Neuerer Michael Manring und im Duo mit dem Cellisten Eugene Friesen aufspielte.
FAZIT: Ian Ethan Case - angeblich Teamplayer, hier aber alleinstehender Virtuose - lässt sich mit seiner meisterlich gespielten Akustikgitarre nirgendwo einzuordnen. Perkussiv klopfend, während er Akkorde greift, oder mit zurückgenommenen Single Notes und vielschichtigen, nie zerfahrenen Strukturen steht er zugleich für Innovation und zeitlosen Konservatismus, weshalb er wohl zu Recht als einer der innovativsten Gitarristen der Gegenwart angesehen wird.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 12.12.2015
Candyrat
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