Im hart umkämpften Prog-Zirkus hat sich der norwegische Paradiesvogel LEPROUS mittlerweile einen ordentlichen Namen machen können. Das liegt zum einen am vorbildlichen Arbeitsethos im Bezug auf Albumreleases und Tourneen (neben den eigenen Konzerten spielten alle Musiker bis 2014 live für IHSAHN), zum anderen aber auch an den nicht zu verleugnenden Fähigkeiten und Eigenschaften der Skandinavier mit den nicht mehr zu hörenden Black Metal-Wurzeln. Ihr viertes Album "The Congregation" wird diesen Status festigen, weil es eine lernwillige Band zeigt, die trotz ihrer Erfolge ihren Zenit noch nicht erreicht zu haben scheint.
Wahrend "Bilateral" noch ein buntes, sympathisches Durcheinander war, vergriffen sich LEPROUS auf "Coal" ein bisschen zu sehr an den Trademarks eines gewissen DEVIN TOWNSENDs und stießen damit einigen Kritikern vor den Kopf. Trotzdem machten die Norweger mit der LP in gewisser Weise einen Schritt nach vorne, denn nun fügte sich das Material zu einem durchdachteren und einheitlicheren Album zusammen. "The Congregation" ist die logische Konsequenz aus diesen Prämissen, weil es alle Stärken bündelt und zu einem dichten Hörerlebnis verwebt.
Alle elf Songs verbinden sich zu einem 65-Minuten-Album, das für seine Länge und seine Genrezugehörigkeit erstaunlich locker ausgefallen ist. Das liegt vor allem daran, dass LEPROUS auf allzu offensichtliche Darbietungen ihres Könnens verzichten und Progressivität als Gesamtkonzept verstehen. Jedem Song ist anzuhören, dass er zum Album gehört, ohne dass immer das gleiche Strickmuster Verwendung findet. Hier und da sind sich die Motive zwar doch etwas zu ähnlich und auch gewisse Längen können nicht vermieden werden, die Platte bleibt aber wie aus einem Guss.
2015 finden wieder mehr eigene Akzente Eingang ins Songwriting und auf die können LEPROUS stolz sein. Vielleicht haben sie nun ihren eigenen Sound gefunden, der aus einer einzigartigen Grundstimmung, einem eigenen Gitarrenton und bärenstarken Gesangslinien besteht. Pop trifft Progressive, Wut trifft Melancholie, aber alles ein bisschen geordneter als zuvor. Einar Solberg braucht nicht mehr so häufig zu growlen, weil es das Material nicht erfordert und weil er aus einem reichhaltigen Fundus an Melodien schöpfen kann. Nicht zu unterschätzen ist der clevere wie sparsame Einsatz von elektronischen Tönen, der den jeweiligen Songs das gewisse Extra gibt.
Trotz der Heterogenität des Materials gibt es genügend Facetten, die von der Band beleuchtet werden. Egal ob hitverdächtig (fast alles), episch (‚Slave‘, ‚Down‘), PROTEST THE HERO-/BIFFY CLYRO-progressiv (‚Within My Fence‘, ‚Down‘), LEPROUS nehmen alle ihre Einflüsse und transformieren sie anscheinend mühelos in die Sprache der eigenen Ausdrucksform. Die Ohrwurmmomente sind als Widerhaken angebracht, damit der Hörer schnell und oft wieder kommt. Wer der Platte mehr als nur drei Durchläufe gönnt, der summt irgendwann auch die Saiteninstrument-Spuren mit, klopft die komplexen Rhythmen und holt sich Gänsehaut von der konsequenten Stimmungskonzeption. Unterm Strich kommt dabei ein Album heraus, das von hoher Halbwertszeit ist, mit verschiedenen Stimmungslagen spielt, verschiedenste Elemente zusammenbringt und bei dem es nur Kleinigkeiten zu bemängeln gibt. Und was am wichtigsten ist: Es macht sich durch seine Eigenständigkeit unentbehrlich im eigenen Bandkontext und darüber hinaus in der gesamten Szene.
FAZIT: „Erwachsen geworden“ ist nicht der richtige Ausdruck, aber LEPROUS haben sich definitiv weiterentwickelt. „The Congregation“ klingt wie aus einem Guss und bringt alle Stärken des Songwritings zusammen. Die Norweger vermitteln gekonnt zwischen Anspruch und poppiger Leichtigkeit und tragen selbstbewusst ihre Trademarks vor, die im Gegensatz zum Vorgänger in einem waschechten Signature Sound münden. Hier und da ähneln sich zwar einige Passagen zu sehr, das ändert aber nichts daran, dass mit „The Congregation“ ein weiteres, qualitativ hochwertiges Album Einzug in eine starke Band-Diskographie hält.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 21.06.2015
Rein Blomquist
Einar Solberg
Tor Oddmund Suhrke, Øystein Landsverk
Einar Solberg
Tobias Ørnes Andersen
InsideOut
65:46
25.05.2015