RAMMSTEIN ohne Till Lindemann, das ist undenkbar. Till Lindemann ohne RAMMSTEIN war das lange auch. Mit DIE PUHDYS und APOCALYPTICA hat er zwar jeweils schon eine kurzes Techtelmechtel gewagt, an ein richtiges Soloprojekt, wie es Kollege Richard Kruspe am Start hat, hat sich der Hüne mit der einmaligen Stimme aber noch nicht gewagt – bis jetzt. Simpel und klar, es ist Zeit für LINDEMANN.
Während Krupse mit EMIGRATE ganz gut über die Runden kommt und Flake mit seinem Buch „Der Tastenficker – An was ich mich so erinnern kann…“ durch die bundesdeutschen Feuilletons geistert, hat Lindemann keine Lust mehr auf Gedichtbände und Gastauftritte in Filmen. Gut dass der Mann auch in der Musikwelt gut vernetzt ist und schon um die Jahrtausendwende Freundschaft mit dem Tausendsassa Peter Tägtgren schloss. Eine Kooperation war schon lange angedacht, doch bislang hatte sich kein Zeitpunkt ergeben, an dem beide gleichzeitig genügend Zeit freischaufeln konnten. Dafür mussten erst RAMMSTEIN, sowie Tägtgrens Bands PAIN und HYPOCRISY in ihre wohlverdienten Pausen gehen, aber auch die Termine im Studio des Schweden mussten erst einmal abgearbeitet werden. Es wurde fleißig und lange gewerkelt, bis „Skills In Pills“ versandbereit eingetütet werden konnte.
Wie immer, wenn zwei Genre-Schwergewichte zueinander finden, steigen die Erwartungen in ungesunde Bereiche, selbst wenn die beiden Musiker beteuern, dass es sich bei LINDEMANN lediglich um ein Spaßprojekt handelt. Das hört man dem Album deutlich an, allerdings im negativen Sinne. LINDEMANN ist größtenteils nicht viel mehr als ein B-Seiten-PAIN-Album, auf dem hier und da ein paar qualitativ ähnlich mäßige RAMMSTEIN-Riffs eingebaut wurden. Um noch ein wenig mehr Eindruck zu schinden, durfte CARACH ANGREN-Keyboarder Clemens Wijers ein paar zusätzliche, opulente Konserven-Orchestrationen springen lassen, die den Plastikgeschmack des Elektro-Industrial Metals gewollt verstärken.
Wirklich ernst gemeint ist die ganze Klamotte wie gesagt nicht, aber trotzdem muss es einen Anreiz geben, sich überhaupt wochenlang mit dem Songwriting zu beschäftigen und danach – so ist es zumindest geplant – ein wenig zu touren. Till dürfte reizen, dass er nun ganz alleine texten darf, was ihm bei RAMMSTEIN nicht vergönnt ist. Dass die aufreibenden Kämpfe um Kompromisse bei seiner Hauptband ihr Gutes haben, hat schon jeder geahnt, der schon mal einen Blick in Lindemanns Gedichtbände geworfen hat. In RAMMSTEIN-Lyrik wird zwar auch oftmals mehr reingelesen, als da wirklich ist, beo LINDEMANN fehlt dagegen fast ausschließlich die Finesse, der Witz und das Augenzwinkern.
Es geht Lindemann-typisch um Sex und seine modernen Formen, die auf den Frontmann einen unverminderten Reiz ausüben. Ein ‚Ladyboy‘ wird genauso besungen wie diverse Fetische (‚Fat‘, ‚Golden Shower‘), sowie dem Akt der Frischfleisch- bzw. –fischsuche (‚Fish On‘ – die Fischmetapher scheint’s ihm angetan zu haben…), nur ist da keine neue Perspektive, die LINDEMANN aufzeigen, kein witziger Einfall, der von dem geistreichen Humorverständnis zeugt, das die Promofotos vermittelten. Natürlich gehört es zum Gimmick, dass Lindemann ausschließlich auf Englisch singt und gerade der Umgang mit seinen rudimentären Sprachkenntnissen hätte für einen nachhaltigen Unterhaltungswert sorgen können. Auch weil der Sänger nicht Neues mit seiner Stimme ausprobiert und nicht mehr liefert als in ‚Pussy‘ und ‚Stripped‘, bleibt es bei platten Parolen und einfachen Ideen ohne jeden Mehrwert. Es stellt sich eher Fremdscham ein.
Lediglich die Single ‚Praise Abort‘ deutet an, was LINDEMANN sein könnten. Ein wenig mehr Selbstironie, ein dramatischer Mittelteil und nicht zuletzt die Ohrwurmqualitäten können ein wenig über die textlichen Schwächen und die fehlende Eigenständigkeit hinweg täuschen. Einige Refrains (Titeltrack, ‚Fish On‘) sind gelungen, aber das hilft wenig, wenn vieles belanglos bleibt und auch die ernsteren Töne (‚Children Of The Sun‘, ‚Home Sweet Home‘, ‚Yukon‘) nicht gelingen wollen. LINDEMANN sprechen letztendlich genau die RAMMSTEIN-Fans an, für die man sich bei den Konzerten schämt, aber das tun sie erfolgreich: „Skills In Pills“ übernahm gleich in der ersten Woche die Spitzenposition in den deutschen Charts und hinterlässt mal wieder einen durchwachsenen Eindruck von der deutschen Musiklandschaft.
FAZIT: LINDEMANN ist ein Spaßprojekt, aber allzu viel gibt es nicht zu lachen. Bis auf die Single ‚Praise Abort‘ gelingen Lindemann und Sidekick Peter Tägtgren nur ein paar Refrains, ansonsten kann das Material nicht viel. Den PAIN-B-Seiten mit RAMMSTEIN-Momenten fehlt es an Eigenständigkeit, Tills Ausflüge ins Englische sind gewollt simpel gehalten, haben aber keinen Mehrwert und mit platten Texten sorgt das alles statt für Begeisterung für Fremdscham. Am Ende bleibt eine Elektro/Industrial Metal-Scheibe, die furchtbar doll nach Plastik, Pop und Pomp müffelt und deren Halbwertszeit gen 0 tendiert.
Punkte: 6/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 29.06.2015
Peter Tägtgren
Till Lindemann
Peter Tägtgren
Peter Tägtgren
Peter Tägtgren
Orchestra Arrangements - Peter Tägtgren, Clemens Wijers
Warner Music
45:06
19.06.2015