Als wäre KINO mit einer neuen Konzeptausrichtung zurück, um demnächst wieder zehn Jahre in der Versenkung verschwinden. John Mitchell liefert nach dem Einmalschlag von 2005 wieder etwas Originäres, das für die nächste Zeit erstmal Bestand haben muss und dafür auch die entsprechende Substanz bereithält. LONELY ROBOT klingt nach einer Menge Vorplanung, nach Blut und Schweiß, nach einem Riesenaufwand, und dennoch kommt es irgendwie aus dem Nichts. Umso erfreulicher der Sog, mit dem man in Mitchells Neoprog-Gitarrenwände eingezimmert wird und die nächste Stunde nicht mehr herausfinden möchte.
Von Suspense angetrieben bereitet „Airlock“ mit raffinierter Spannungssteigerung die Schleuse ins Album hinein, das thematisch zugegebenermaßen nicht unbedingt Neues zu bieten hat. Roboter als Metaphern auf menschliches Dasein und außerirdische Wurzeln in der Anthropologie sind quasi Science-Fiction-Kerngebiete. Der digitalisierte Babyschrei am Ende des mit Jem Godfrey (FROST*) veredelten Openers kann einem aber dennoch eine Gänsehaut über den Rücken jagen. Ein stimmiger Auftakt, der in das vorab bereits präsentierte „God vs. Man“ mündet, eine Strophe-Bridge-Refrain-Offensichtlichkeit, die dem Hörer gleich Vertrautheit einimpft, auf dass er sich heimisch fühlen kann. Ein wenig O.S.I. und Kevin Moore schwingt da mit, dem rockigen Mainriff, dem Archivstimmengeblubber im Hintergrund und dem pluckernden Bassgrund zum Dank.
Mit der Rockigkeit wird Mitchell es im Folgenden nicht übertreiben, gleichwohl er jeden Song als Einzelstück funktionieren lässt, doch das Tempo pendelt er irgendwo im Bereich des Besonnenen ein, damit die gefühlvollen Soli und die schmelzenden Gesangslinien Gerechtigkeit erfahren. Stücke wie „Construct Obstruct“ oder „The Boy In The Radio“ hätten in den 80ern ihre Tauglichkeit bewiesen, in denen von Musikern noch mehr Persönlichkeit und Image gefragt war als heute, andere wie das schweifende „A Godless Sea“ oder „Are We Copies“ klingen futuristisch-modern, experimentell und im Albumkontext eher kühl, und doch verlässt Mitchell nie wirklich seine Position, reißt die dichte Atmosphäre zu keiner Zeit weit genug auf, dass man ihr entfliehen könnte.
Daraus folgt ein homogener Blick auf das Ganze aus der Distanz betrachtet, zumal die vielen namhaft besetzten Plätze auf der Gästeliste sich organisch einfügen; wenig überraschend, da sie weitestgehend selbst Experten auf Mitchells Gebiet sind und teilweise auch schon mit ihm zusammengearbeitet haben. Andererseits nimmt man nicht unbedingt alle Songs auf dem gleichen Qualitätslevel wahr, was manchmal persönlichen Präferenzen geschuldet sein dürfte, aber ganz generell bewegt sich etwa ein Stück wie „Humans Being“ sehr nah am Rande des Schunkelkitschs.
FAZIT: Mitchell beantwortet die Gebete der KINO-Fans, dass doch endlich mal wieder was Neues kommen möge, auf ganz eigene Art. „Please Come Home“ ist überdeutlich im Schnittfeld von KINO, FROST* und IT BITES angelegt und somit in gewisser Weise das, was man von ihm hat erwarten können, andererseits mit so viel Sorgfalt und Gefühl umgesetzt, dass man es unbedingt als eigenständiges Werk begreifen sollte. Es sind zwar nicht für einen Cent neue Ideen dabei, weder inhaltlich noch musikalisch, auch hätte das düstere Suspense-Gefühl des Openers zwischendrin gerne mal wieder aufgegriffen werden können, aber Charakter, den hat sein einsamer Roboter zuhauf.
Punkte: 10/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 06.04.2015
Nick Beggs, John Mitchell
John Mitchell, Heather Findlay, Peter Cox, Steve Hogarth, Rebecca Need-Menear, Kim Seviour
John Mitchell, Jem Godfrey, Nik Kershaw, Jamie Finch
John Mitchell, Jem Godfrey
Craig Blundell
Lee Ingleby (Narrator), Jem Godfrey (Stick), Steve Hogarth (Piano)
InsideOut
58:23 (Special Edition mit Bonus-Tracks: 74:20)
23.02.2015