„The Monsanto Years“ ist NEIL YOUNGs siebunddreißigstes reguläres Album (auch wenn Wikipedia behauptet es wäre Nr. 36) und wie bei jeder neuen Veröffentlichung muss er sich seiner eigenen Legende stellen, wörtlich und sinnbildlich. Dabei schlägt sich das Album ziemlich wacker. Keine verrauschte Telefonzellen-Nostalgie-Nummer, kein allzu plüschiges Country-Arrangement und erst recht keine Experimente mit dem Vocoder.
Den braucht YOUNG eh nicht mehr, seine Stimme ist brüchig wie selten zuvor, die hohen Töne sollte er per se seinen jungen Begleitern überlassen. Aber hey, es ist NEIL YOUNG, den niemand wegen seiner Sangeskunst hört; der auch röcheln könnte, bis die Platte endet. Er krakeelt, gibt der Gitarre Zunder, wenn auch nicht ganz so dolle wie einst im Mai, und lässt sich von WILLIE NELSONs Söhnen Lukas und Micah samt Band PROMISE OF THE REAL begleiten. Die gelehrig in den Fußstapfen von CRAZY HORSE herumtapsen: Auf dem richtigen Weg, aber nicht ganz so brachial, rumpelig und eruptiv wie YOUNGs Stammband für harte Zeiten – und „Ragged Glory“. Einen ähnlichen Abstecher hat er mit PEARL JAM auf „Mirrorball“ gemacht; es war keine Kombination für die Ewigkeit.
Musikalisch sind die „Monanto Years“ angesichts des Themas und der manifesten Worte mitunter erstaunlich freundlich sanft, geradezu naiv albern. Da wird Mundharmonika gespielt und gepfiffen, es gibt schnuckelige Chöre im Hintergrund und die für YOUNG typische Verträumtheit/Melancholie. Nachdenklicher Farmer-Rock halt. Dann wird es lauter, epischer und natürlich werden sofort Erinnerungen an die Klassiker wach. Doch „Cortez The Killer“ heißt jetzt Monsanto, sitzt in der Chefetage des Wal-Mart und lässt via Starbucks global einheitliche Kaffeevariationen ausschenken. Das Cowgirl räkelt sich nicht mehr im Sand, stattdessen waten Cowboys durch Felder genmanipulierten Getreides. Entstanden aus jenem Saatgut, das dieselbe Firma produziert und lizenziert, die für Agent Orange verantwortlich war.
Textlich bezieht NEIL YOUNG klar Position. Er wettert gegen die Global Players, gegen Verblendung und die Gier einer gewissenlosen Industrie- und Finanzwelt („Big Box“). Zwar beginnt das Album mit ein wenig Hoffnung und der Bitte um ein soziales Gewissen („A New Day For Love“), fährt mit einer Lagerfeuer-Ballade fort, die auch auf „Harvest Moon“ gepasst hätte („Wolf Moon“), um der Menschheit sofort anschließend den Kopf zu waschen, der tief im Sand steckt: „Don’t talk about the corporations/Hijackin‘ all your rights/People want to hear about love/Don’t talk about the Global Hunger“ („People Want To Hear About Love“).
Die Lyrics sind nicht filigran oder ausgefeilt, sondern direkt, knapp und plakativ. Manchmal ein bisschen komisch, erst wird gepfiffen, dann heißt es „A Rock Star Bucks A Coffee Shop“, aber umgehend wird dem Hörer YOUNGs Anliegen in Großbuchstaben um die Ohren gehauen („MONSANTO/LET OUR FARMERS GROW/WHAT THEY WANT TO GROW“). Und das ist auch gut so. Wie zuvor schon bei „Big Box“, einer dieser Songs, der an vergangene Hymnen erinnert und sofort zündet, was ebenso für „Rules Of Change“ und den schwerblütigen Titeltrack gilt. „Workin‘ Man“ ist ein etwas stumpfer, aber nicht übler Rocker, und „If I Don’t Know“ gibt das beseelte Finale. Wer danach immer noch glaubt, RYAN ADAMS sei NEIL YOUNGs fällige Ablöse, dem ist nicht zu helfen.
Zur CD gehört eine DVD, die neben kleinen Erläuterungen der Nelson-Brüder zur tollen Zusammenarbeit mit dem erlauchten NEIL YOUNG, einen einstündigen Konzertfilm enthält, der die Aufnahmesession im traumhaften Teatro, im kalifornischen Oxnard gelegen, so grobkörnig wie stilgerecht dokumentiert. Für die Klatschspalte: An der Kamera unter anderem YOUNGs derzeitige Lebensgefährtin Darryl „California Mountain Snake“ Hannah.
Zur Aufführung kommen die Songs des Albums in anheimelnder Atmosphäre und anderer Reihenfolge eingespielt, plus ein paar lakonisch-witzige Behind-Inbetween-The-Scenes-Sequenzen. Weit gelungener als sonstige Beigaben in Form von öden Making-Of-DVDs.
FAZIT: Ein 69jähriger Grantler mit Haltung. Gut, es ist nicht immer dieselbe – YOUNG kann mit Donald Trump posieren, wenn es um die Finanzierung seines Pono-Audioformats/-Players geht, und Trump umgehend die Verwendung von „Rockin‘ In The Free World“ zu politischen Werbezwecken untersagen - und manche seiner Ideen, Ideologien und Aussagen sind grenzwertig, zumindest aber diskussionswürdig. Aber einen erfolgreichen Musiker zu erleben, der mit klaren Worten Stellung bezieht, der Empathie und Wut zeigt und dies musikalisch auch nach vierzig Jahren noch mit genügend Power unters Volk bringen kann, tut einfach gut.
Nicht alle Ideen samt Ausführung leuchten gleich hell, ebenso lässt sich der Wiederholungseffekt nach einem halben Jahrhundert nicht ganz vermeiden, aber „The Monsanto Years“ wirkt erstaunlich frisch und wenig glattgebügelt. Vielleicht wäre es mit CRAZY HORSE noch ein wenig deftiger und aggressiver rüber gekommen, aber PROMISE OF THE REAL machen ihre Sache als Stammhalter ziemlich gut. Etwas zurückhaltend und brav, aber mit Potenzial.
Wer NEIL YOUNG bislang nicht mochte, wird auch mit „The Monsanto Years“ nichts anfangen können, und wer früher seine Musik trotz des eigenwilligen Nicht-Sängers mochte, wird jetzt noch größere Hürden nehmen müssen. Aber alle anderen dürfen beherzt zugreifen. Auch wenn wir gerne erlebt hätten wie NEIL YOUNG „Nestlé“ in Grund und Boden singt. Aber „Monsanto“ klingt einfach besser. Wenn‘s schon mit der Stimme nicht hinhaut. Die Stoßrichtung ist in etwa dieselbe.
Bei Monsanto wird das Album, leicht pikiert und ganz unschuldig, natürlich zur Kenntnis genommen:
“Many of us at Monsanto have been and are fans of Neil Young. Unfortunately, for some of us, his current album may fail to reflect our strong beliefs in what we do every day to help make agriculture more sustainable. We recognize there is a lot of misinformation about who we are and what we do – and unfortunately several of those myths seem to be captured in these lyrics.”
„Ich fürchte mich vor dem Tag, an dem die Technologie unsere Menschlichkeit übertrifft. Auf der Welt wird es nur noch eine Generation aus Idioten geben.“ Einstein wusste Bescheid.
Punkte: 10/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 15.07.2015
Corey McCormick
Neil Young, Lukas Nelson, Micah Nelson, Corey McCormick
Neil Young, Lukas Nelson, Micah Nelson
Anthony Logerfo, Tato Melgar
Micah Nelson (electric charango)
Reprisse Records/Warner Music
CD 51:04/DVD: ca. 80
26.06.2015