Es mutet schon beinahe hellseherisch an, wenn eine Band aus Deutschland, die sich tiefenmelancholischen, fast hypnotisch anmutenden Schicksalsmelodien hingibt, ihrem aktuellen Album den Titel „Im Argen“ verpasst. In unserem „Mutti“-Land liegt schließlich nicht nur die musikalische Radio-Landschaft im Argen, auch die lobbyistische Wirtschaft sowie die gefühlskalte Politik, die angeblich alternativlos sein soll, aber nur einfallslos ist. Eigentlich eine todtraurige Erkenntnis. Den Soundtrack dazu haben definitiv RADARE geschrieben, aber im Gegensatz zu dem alltäglichen Dreck, den wir hier erleben und der einem immer mehr auf den Zeiger geht, leuchtet „Im Argen“ wie ein musikalischer Diamant.
Ihr Musik-Genre bezeichnen RADARE selbst als „Slow“ und treffen damit den Nagel auf den Kopf bzw. die Abtastnadel direkt in die Rille! Musik in Zeitlupe, die einen gefangen nimmt, nicht loslässt und zum Gleitflug ansetzt, so als würde man mit seinem Segelflugzeug einen günstigen Aufwind erwischen und geruhsam über das Land schweben. Doch größtenteils erschließen sich dabei dem Blick Friedhöfe, verzweifelte Menschenströme - traurige Bilder eben, die nicht, wie es uns unsere Medienwelten Tag für Tag vorgaukelt, schillernd bunt, sondern eher grau und bedrückend, aber gerade dadurch auch faszinierend wirken. Manchmal öffnet einem gerade die Trauer den Blick für das Wahre oder Besondere. „Im Argen“ nimmt uns dabei an die Hand.
Bereits „Please Let Me Come Into The Storm / Luke“ eröffnet mit einem dumpfen Synthesizer-Brummen bis dann die, auf „Im Argen“ immer wieder eine grandiose Rolle spielende, Klarinette einsetzt und einfach nur wundervoll diese Stimmung auf die Höhe treibt, während sie Gitarre und Bass begleiten. Plötzlich beginnt sogar eine Zither ihre traurige Melodie beizusteuern bis ein dumpfer Schlagzeugton sich langsam und immer bedrohlicher erhebt. Ähnlich klingen SIGUR RÓS oder EFTERKLANG in ihren schönsten und traurigsten Instrumentalpassagen. Im Verlauf der insgesamt fünf Titel erwartet uns dann noch ein weiteres, sehr einprägsam-wirkungsvolles Instrument: die Posaune! In „The Queue“ lässt sie den Hörer regelrecht erschauern. So getragen die Musik auch vom Anfang bis fast zum Ende klingen mag, sie langweilt nicht eine einzige Sekunde und sie wird von Hördurchgang zu Hördurchgang immer ein bisschen schöner, geht einem immer ein bisschen näher, macht einen immer ein bisschen nachdenklicher und trauriger.
Auch wenn die Musik rein instrumental ist, nimmt man RADARE sofort ab, dass „Im Argen“ ein Konzept zugrunde liegt, das aus fünf einzelnen Episoden besteht - zu deren Verdeutlichung auch die fünf Schwarz-Weiß-Bilder auf dem Digi-Pack beitragen - in denen unterschiedliche Blickwinkel auf Menschen geliefert werden, die unverhofft in eine Extremsituation geraten, welcher sie nicht gewachsen sind und an der sie zu zerbrechen drohen.
FAZIT: Ohne jegliche Ironie oder es abwertend zu meinen, könnte man behaupten, dass die deutsche Post-Slow-Rock-Band RADARE die Entsprechung von GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR sind, wenn die sich entschließen würden, ein rein instrumentales Slow-Rock-Album zum Träumen, Trauern und Dahinschweben einzuspielen, welches dem finsteren Post-Rocker die Augen schließen und das Herz ganz weit öffnen lässt. Und damit der am Ende des Albums auch wieder aufwacht, nimmt „Damsel In Distress“ doch noch ein ungewöhnlich hohes, schwer psychedelisches Tempo auf und lässt dem Schlagzeug zum Ende hin sogar einen flotten freien Lauf.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 02.10.2015
Matthias Jurisch
Fabian Bremer, Jobst M. Feit
Henrik Eichmann, Fabian Bremer, Jobst M. Feit
Henrik Eichmann
Henrik Eichmann (Klarinette), Matthias Jurisch (Posaune)
Golden Antenna Records
35:34
25.09.2015