Relapse und die Schlagerparty der anderen Art: Runde 76 Jahre haben die drei Scheiben zusammen auf dem Buckel, die das für feinsten Hochgeschwindigkeitskrach bekannte Label remastered wieder aufgelegt hat. Und zwar zu Recht: RAZOR waren eine der größten kanadischen Thrash-Bands, die allerdings auch das typische Schicksal ereilte. Die unheilvolle Dreifaltigkeit aus Labelstress, Besetzungswechseln und Selbstdemontage zu Beginn der Grunge-Welle verwehrte der heute wieder aktiven Band aus Ontario den großen Durchbruch.
Die aktuellen Re-Releases dokumentieren die zweite Phase der Band von 1988 bis 1991. Auf „Violent Resitution“ war erstmals Adam Carlo, der Bruder des Bandchefs Dave Carlo an Bord, der Gründungsbassist Mike Campagnolo ersetzte. Erwartungsgemäß führte das nicht zum Stilbruch, zumal das markanteste Aushängeschild RAZORs noch mit an Bord war. Stace „Sheepdog“ McLarens Organ, vor allem seine hohen Schreie, drehten jedem Hairspray-Metaller problemlos Dauerwellen in die Matte und sind teilweise hart an der Grenze zur komödiantischen Darbietung, was allerdings nicht für den grandios geshredderten Opener „The Marshall Arts“ gilt. „Angel Of Death“ hoch zwei sozusagen. Auch der Rest von „Violent Restitution“ gestaltet sich ganz und gar nicht kuschelig und überfordert mit dem ambitionierten und durchaus komplexen Getrümmer Technik wie Hörerohren. Ist die Aufnahmequalität schon nicht berauschend, so kommen noch einige Soundeffekte dazu, die beispielsweise „Taste The Floor“ klingen lassen, als hätte ein Thermomix die Solostimme gespielt. Auch McLaren hört sich leider oft an, als hätte er durch ein Regenrohr gesungen.
Insgesamt dominiert auf dem Album der sehr punkige, doch noch recht melodische Thrash der frühen 80er. RAZOR agieren dabei mit viel Druck und Wut im Bauch, schaffen es aber noch selten, so knackig auf den Punkt zu kommen wie bei „Eve Of The Storm“. Als Bonus gibt es die routiniert gespielten Alt-Titel „Shootout“ und „Snake Eyes“ sowie das Eröffnungsdoppel des Albums in Liveversionen.
Für „Shotgun Justice“ suchte sich Dave Carlo dann ein neues Label (Fringe) und einen neuen Sänger. Textlich hatten RAZOR immer etwas zu sagen und mächtig schlechte Laune, insofern war die Kurskorrektur zu einem kompromissloseren und garstigeren Sound eine gute Entscheidung. Die Scheibe aus dem Jahr 1990 klingt deutlich homogener und weniger anstrengend, ist dabei aber zugleich bissiger und tönt nach dem Remastering sogar ziemlich modern. Großes Vorbild sind bei „Shotgun Justice“ DESTRUCTION, auch wegen der stimmlichen Ähnlichkeit des neuen Sängers Bob Reid mit Schmier. Entsprechend gibt man bei den meisten der 14 Titel Vollgas, RAZOR schaffen es aber erfreulicherweise auch, für mehr als zehn Sekunden einen Gang zurückzuschalten. Das führt zu wuchtigen Breitseiten wie „Brass Knuckles“, und Hitverdächtiges wie „Miami“ oder „The Pugilist“ ist auch in größerer Zahl vorhanden als auf dem Vorgänger. Wie fit das Lineup live war, zeigen die beigegebenen Liveversionen. Dazu kommen ein Originalmix zum Vergleich sowie zwei alternative Versionen von „Brass Knuckles“ und „Electric Torture“.
Das ein Jahr später erschienene „Open Hostility“ sollte den erfolgreichen Kurs fortführen. Allerdings war Drummer Rob Mills nach einem Autounfall nicht spielfähig, so dass ein Drumcomputer zum Einsatz kam. Das letzte Album vor RAZORs Auflösung 1992 ist trotzdem gut durchhörbar und fällt kaum gegen den Vorgänger ab. Paradoxerweise gelingt es der Band auch erstmals, ohne Verspannungen zu grooven. Stilistisch näherte man sich wieder Kollegen des eigenen Kontinents an, vor allem OVERKILL und SACRED REICH. Punkiges Riffing gibt es auf „Open Hostility“ nur noch wohl dosiert, zum Beispiel im Tanzflächenfeger „Cheers“. Für Classic Thrash-Maniacs gibt es so immer noch genug pfeilschnellen Stoff, der durch drei unveröffenlichte Demonummern ergänzt wird. Der Rest der instrumentalen und klanglich recht üblen Dreingaben ist dagegen überflüssig.
FAZIT: RAZORs mittlere Schaffensphase ist ein ideales Nahrungsergänzungsmittel für Konsumenten von Thrash im Stildreieck zwischen ANTHRAX, SLAYER und DESTRUCTION, kann aber auch gut als Nachhilfestunde für Musikhistoriker dienen.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 16.06.2015
Adam Carlo
Stace McLaren, Bob Reid
Dave Carlo
Rob Mills
Relapse Records
53:34, 57:11, 63:26
01.05.2015