Zurück

Reviews

Reverend Shine Snakeoil Co.: Anti-Solipsism part 2 - Totems & Familiars

Stil: Wilder Stil-Mix von Rock über Jazz bis Bluegras

Cover: Reverend Shine Snakeoil Co.: Anti-Solipsism part 2 - Totems & Familiars

Seit fast fünf Jahren ist der durch FRANK ZAPPA und seine verrückten Musik-Affinitäten zur Legende gewordene CAPTAIN BEEFHEART nun schon tot. Er hinterließ eine große Lücke auf der musikalischen Landkarte der verrücktesten Stil-Mixe aus experimentellem Rock, Blues, Jazz, Funk usw.
Eine Lücke, die bis heute kaum geschlossen werden konnte.
Bis heute?!
Ja, bis heute!
Denn spätestens seit diesem zweiten Teil von „Anti-Solipsism - Totems & Familiars“ kennen wir seinen würdigen Nachfolger: REVEREND SHINE SNAKEOIL CO. - eine Band aus Kopenhagen mit amerikanischen Wurzeln, deren Sänger wie CAPTAIN BEEFHEART mit dem zusätzlichen rau-versoffenen Charme einer TOM WAITS-Stimme klingt.

Getreu ihrem auf der ersten Booklet-Seite verewigten Leitmotiv: „Loose yourself to the Musik. But don‘t loose the Musik in yourself.“ (Verliere dich in der Musik, aber verliere niemals die Musik in dir!), haut uns das wild gewordene Quartett einen noch wilderen musikalischen Stil-Mix um die Ohren. Dabei bestimmen polyrhythmische Melodien genauso wie atonale Harmonien das Musik-Geschehen auf „Anti-Solipsism part 2 - Totems & Familiars“, doch schnell erkennt der aufmerksame Hörer, dass das Einbinden solch schräger Klangstrukturen System hat. Denn immer, wenn man denkt: „Das klingt jetzt aber wirklich zu abgefahren!“, dann kommt sofort eine beruhigende Melodie oder ein stampfender, zum Mitwippen einladender, Rhythmus daher, der uns wieder auf Kurs bringt, egal ob der Kurs nun Jazz, Bluegras, Psyche, Funk, Rock, Blues, Gospel, Soul oder sonstwie heißt.

Mindestens genauso beeindruckend wie die Musik ist aber auch die Tatsache, dass sich REVEREND SHINE SNAKEOIL CO. für ihre Aufnahmen einen ähnlich ungewöhnlichen Ort aussuchten wie JOHNNY CASH dies bereits im Jahr 1968 tat, als der „At Folsom Prison“ live mitten im Knast aufnahm. Den gleichen „Knast“-Weg beschreitet nun auch ihrer musikalischer Hochwürden des glänzenden Schlangenöls, allerdings nicht ganz so mutig wie Mr. Cash. Ihr Album jedenfalls entstand im ehemaligen Göteborger Gefängnis Härlanda und unter nicht gerade optimalen Bedingungen, wie der Sänger CLAUDIUS PRATT zu berichten weiß: „Es war ein bewegendes Experiment, das wir da angingen, indem wir an einem Wochenende dieses Album im Knast aufnahmen. Ich war schwer krank in der Zeit, hatte Fieberträume und durchgängig Fieber während dieser Zeit. Doch egal, wie die Bedingungen waren, wir konnten dieses Ereignis einfach nicht abbrechen!“

Einzelne Songs aus diesem Album herauszupicken, wäre in etwa so sinnvoll, wie mit einem Schüler anhand eines löchrigen Kondoms über die Gefahren der Verhütung zu sprechen. Es passiert so vieles, dass man sich auf „Anti-Solipsism part 2 - Totems & Familiars“, das später mit „part 1“ auf einem Doppel-Album erscheinen soll, einfach nicht festlegen kann. Vielleicht auf die Begrifflichkeit „Verrückt“ oder „Abgefahren“ oder „Ungezügelt“ oder „Ekstatisch“. Aber auch „Gewöhnungsbedürftig“ käme in Frage. Was wiederum leider auch für den nicht immer wirklich gelungen aufeinander abgestimmten Sound zutrifft.

Übrigens gibt es mit „In Case We Don‘t Die“ auch einen Longtrack, der in seinen gut 9 Minuten als düstere Funky-Blues-Ballade beginnt, um dann mit fast schamanischen Satzgesängen samt Rasseln und Klappern sowie einem dumpfen Bass-Ton und gezupften Gitarren-Akkorden dem „Totem“ im Album-Titel alle Ehre zu erweisen, bis das Ende in einem psychedelischen Blues aufgeht. Ein fast hypnotischer Song - bedrohlich wie eine Geisterbeschwörung!

FAZIT: Man muss sich nicht gleich mit glänzendem Schlangenöl einreiben, um der „Totem“-Musik dieses Albums etwas abzugewinnen. Ein wilder Ritt durch die unterschiedlichsten, größtenteils in Amerika beheimateten Musiktraditionen, in denen der Schlangenöl-Hochwürden auf den Rindfleischherz-Kapitän trifft.

Punkte: 11/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 12.06.2015

Tracklist

  1. The Hitch
  2. Word To The Wise
  3. Indifference
  4. Ungrateful
  5. The City
  6. In Case We Don‘t Die
  7. Möbius
  8. Hold It Down

Besetzung

  • Bass

    Martin Ollivierre

  • Gesang

    Claudius Pratt, Gamiel Stone

  • Gitarre

    Justin Moses Gunn

  • Schlagzeug

    Matthias Arbo-Klein

  • Sonstiges

    Jenz Koudahl (Harmonika), Kenneth Harrison (Posaune), Sylvester Roepstorff (Klarinette)

Sonstiges

  • Label

    Noisolution / Indigo Distribution

  • Spieldauer

    39:40

  • Erscheinungsdatum

    05.06.2015

© Musikreviews.de