Eigentlich sollte diese Kritik in den BBS (Babyblauen Seiten) erscheinen, die sich speziell dem Kritisieren von Progressiver Rockmusik widmen und für die ich seit vielen Jahren schreibe.
Leider sind die Administratoren dort aber der Meinung, dass sie durch strikte Regeln, die nichts Anderes als eine Zensur darstellen, durchsetzen müssen, gewisse Kritiken ganz zu verhindern oder permanent Veränderungen einzufordern, besonders wenn man sich auf die Meinung eines BBS-“Vorkritikers“ zum selben Album bezieht. Nachdem ich wiederholt diesbezüglich gemaßregelt und Kritiken von mir dort nicht veröffentlicht wurden, nutze ich zum ersten Mal unsere Seite, um das zu einem Album niederzuschreiben, was aus Sicht der BBS nicht würdig ist, veröffentlicht zu werden.
Manchmal treibt mich die Wut dazu, eine Kritik zu schreiben. Diesmal also bin ich wütend und zwar auf <a href="http://www.babyblaue-seiten.de/index.php?albumId=1052&content=review" rel="nofollow">die letzte Kritik zu „The Myths And Legends Of King Arthur And The Knights Of The Round Table“</a>, welche ein Album mit einem Punkt abstraft und völlig unhaltbare Behauptungen aufstellt, indem von Kaufhausmusik und keinerlei Wakeman-artigen Tasten-Ausflügen geschwafelt wird. Eigentlich hätte mich das nicht wirklich weiter gejuckt, wäre ich nicht durch Zufall auf die Deluxe-Edition dieses Albums - bestehend aus der digital remasterten und hervorragend klingenden „Original“-CD und einer Audio-DVD, welche dieses Album als LPCDM 96/24 Stereo-Mix sowie DTX 96/24 Quad-Mix und Dolby-Digital-Quad enthält - gestoßen und erneut an meine Wut über diese Kritik erinnert worden.
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Natürlich muss man das Album, welches den hervorragenden „The Six Wives Of King Henry VIII“ und „Journey To The Center Of The Earth“, dem es übrigens sehr ähnelt und unverkennbare Parallelen aufweist, folgte, nicht mögen, aber man sollte doch etwas genauer hinhören und sich vielleicht ein wenig mit dem Hintergrund dieses Albums beschäftigen.
Erinnern wir uns also!
Wakeman hatte gerade als Keyboarder mit YES auf „Fragile“ (1971) und besonders „Close To The Edge“ (1972) Musik-Geschichte geschrieben, die allerdings viele Fans dann mit dem andersartigen, seltsam verkopften „Tales From Topographic Oceans“ (1973) schwer verunsicherte und einige sogar abschreckte. Ähnlich verhielt es sich mit seinen Solo-Alben. „The Six Wives Of King Henry VIII“, ein Instrumentalalbum allererster Güteklasse, und „Journey To The Center Of The Earth“, eine bombastische Rock-Oper mit Band, Orchester und Chor, sorgten für jede Menge Aufmerksamkeit. Wakeman schien offensichtlich ein Workaholic, aber auch „Alcaholic“ zu sein, der außerdem noch mit YES durch die Welt tourte.
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Doch mit einem Schlag veränderte sich sein komplettes Lebensmodell, das ihn nicht nur 1973 bei YES aussteigen ließ, sondern beinahe auch sein gesamtes Musiker-Leben zerstörte. Rick Wakeman erlitt genau in dieser Zeit seinen ersten Herzinfarkt und der ihn behandelnde Arzt empfahl ihm eindringlich, seine Musik-Karriere zu beenden. Vielleicht gehörte der Mediziner ja nicht zu den vielen YES-Fans, aber wahrscheinlicher war, dass in den Siebziger-Jahren ein Herzinfarkt als eine Art Todes-Vorbote galt, den man nur durch absoluten Rückzug in Ruhe, Enthaltsamkeit und Entspannung bekämpfen konnte. Wakeman selber besann sich dabei wieder auf seine Kindheit - als recht typisches Deja Vú, welches man nach solchen Botschaften bekommt -, schwelgte in Kindheitserinnerungen und las sein Lieblingsbuch, die Saga über König Arthur und die Ritter seiner Tafelrunde (bei uns besser bekannt als die „Artussage“), also denjenigen, der, wenn er das Schwert aus dem Stein zieht, König von England werden soll. Welch Glück, dass dieses Buch Wakeman zugleich anregte, gegen den Rat seiner Arztes zu verstoßen und sich statt aus der Musik zurückzuziehen, die Geschichte zu vertonen, weil er seine plötzliche, schicksalhafte Krankheit und „King Arthur“ eng miteinander verflochten sah: „I was not just writing about the legends, I had also been writing about myself and the predicament I was in at the hospital. And something like ‚Sir Lancelot And The Black Knight‘ was really about me as well. I was Lancelot, and The Black Knight‘ was the heart attack. [...] And that is why I know I relate ... Arthur ... on a much personals level today.“
In „The Myths And Legends Of King Arthur And The Knights Of The Round Table“ schafft Wakeman also ein musikalisches Abbild der Situation, in welcher er sich kurz nach seinem Herzinfarkt befand, indem er diese auf den Kampf zwischen den guten und bösen Mächten dieser Saga impliziert. Und dass dabei viel Pathos eine Rolle spielt, den andere meinetwegen Schwulst oder Schmalz nennen wollen, ist selbstverständlich, denn schließlich empfindet Wakeman seinen King Arthur als eine Art musikalisches Medikament, welches ihm dabei helfen soll, die Folgen seines Herzinfarkts zu überwinden. An diesem ganz speziellen Heilungsprozess lässt er natürlich seine Fans und Musikliebhaber teilhaben, weil er im Grunde nichts Anderes vermag, als sich mithilfe eigener Musik von der Krankheit und deren Folgen zu befreien. Wahrscheinlich war ihm dabei auch ziemlich egal, wie einige Kritiker daraufhin auf ihn eindroschen, so als hätte er sein ganzes Musik-Leben damit in die Mülltonne gedrückt. Wie abwegig diese Behauptung ist, erfährt man spätestens, wenn man sich nicht den vielen geschürten Vorurteilen zu diesem Album hingibt, sondern ganz intensiv darauf einlässt.
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Sofort wird klar, dass „Journey To The Center Of The Earth“ auch in „King Arthur“ nachwirkt, nur dass diesmal der Bombast, aber auch einiges an Kitsch und ganz viel Märchenhaftes, in der Musik noch stärker zum Tragen kommen, denn hier werden eine Saga und eine Musiker-Leidensgeschichte miteinander verflochten. Und die Musik, die dabei entstand, gehört mit zum Authentischsten, was Wakeman je in seiner Solo-Karriere schuf, weil die eigene Betroffenheit nie so intensiv war. Übrigens kann man vieles von dem, was ich hier schreibe, in dem fantastischen und sehr umfangreichen Booklet der „Deluxe Edition“ nachlesen. Außerdem gibt‘s alle Texte samt einer ansprechenden Bebilderung zu bewundern, womit automatisch auch die Behauptungen, dass diese Texte naiv und ein BlaBlaBla wären, ebenfalls in‘s Reich der Kritiker-Legenden verabschiedet werden können.
Mit der fast identischen Besetzung, die bereits bei der Reise zum Mittelpunkt der Erde zum Einsatz kam, geht Wakeman auch an die Verwirklichung seiner musikalischen Artus-Saga. Damit ist das Reise-Ziel klar: „Back to the ‚Journey‘!“ Und man spürt auch, wie wichtig ihm in seine Pre-Herzinfarkt-Phase gerade dieses Album und besonders die Konzerte dazu gewesen sein müssen, denn im Hinterkopf hört man schon, dass auch hier eine spezielle Verwirklichung für die Bühne im Blickwinkel der Musik steht. So wird die Ballade „Guinevere“ sogar ein zärtlicher Abklatsch von „The Journey“, allerdings noch mehr auf Schönklang getrimmt. Eine Hymne, die immer ein wenig auf des Messers Schneide wandelt, aber nie wirklich in den Schmalztopf abrutscht, was besonders auch an den gelungenen Keyboard-Passagen Wakemans liegt, die dem manchmal arg kitschig erscheinenden Gesang einen angenehmen Gegenpol bieten, selbst wenn der Chor nach Wolke 7 klingt. Auch ein Erzähler kommt wieder zum Einsatz. Wer das nicht mag, der dürfte wohl auch „The Journey“ nicht gemocht haben.
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Dann aber taucht plötzlich „Sir Lancelot“ aus der Versenkung auf und feuert aus einer an Filmmusiken erinnernden Kanone auf die Hörer ein. Der Gesang wird rockig, dann wieder zart, die Tasten werden traktiert, dass es einen schwindelig macht und Wakeman fühlt sich offensichtlich wohl, bei seinen wilden Wechseln zwischen elektronischen Keys und Grand Piano. Man spürt mit jeder Note den Kampf zwischen Lancelot und den schwarzen Rittern - oder eben Wakeman und den Herz-Attacken.
Spätestens mit dem darauf folgenden, hervorragenden Klavier-Stück „Merlin The Magician“ beweist Wakeman endgültig, wie sehr er bemüht ist, seiner Musik genau die Aura zu verleihen, in welcher die Artus-Saga entstand, nämlich eine mittelalterliche. Ein wahrhaft barockesque Meisterleistung.
Vor „Kitsch triefend“?
Leute, was soll das?
Dann trieft auch Bo Hanssons „Lord Of The Rings“ vor Kitsch.
Oder Emerson, Lake & Palmer triefen genauso.
Na ja - und wer sich dann „The Last Battle“ reinzieht, der wird wohl auch die letzte Schlacht gegen einen kriegerischen Kritiker gewinnen.
Solche Musik muss man nicht mögen, aber sie dermaßen zu zerreißen, ist nur ein Ausdruck von Unverständnis für etwas, was man sowieso nicht ausstehen kann. Wenn man dies dann aber auf solche Weise wie hier bewertet, dann wird dieses Unverständnis zum Rachefeldzug gegen ein Album, welches solche Reaktionen wirklich nicht verdient hat. Wakeman predigt nämlich nicht wie ein Morse oder nutzt seine Musik, um uns zu bekehren, was ich als wirklich verwerflich empfinde.
Wakeman nutzt seine Musik, um sich aus einem extremen Tief herauszuholen und lässt uns daran teilhaben. Das genießt meine Hochachtung - und die Zeit, die ich aus lauter Wut in diese Kritik steckte!
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Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 22.11.2015
Roger Newell
Ashley Holt, Gary Pickford Hopkins, The English Chamber Choir, Nottingham Festival Vocal Group
Jeffrey Crampton
Rick Wakeman
Barney James
Terry Taplin (Sprecher), The English Chamber Choir (Chorleiter: Guy Protheroe), Nottingham Festival Vocal Group, Wil Malone (Orchester-Arrangements), David Measham (Dirigent)
UMG Recordings
je 44:39
23.01.2015