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Reviews

Sammal: Myrskyvaroitus

Stil: Progressiver Retro-Rock

Cover: Sammal: Myrskyvaroitus

Kleiner Rückblick:
Vor etwa drei Monaten überrascht mich ein dicker Brief von meiner in Helsinki lebenden Tochter zu meinem 51. Geburtstag. Darin natürlich etwas, was der musikbesessene, immer älter werdende Papa am allermeisten liebt - eine CD von einer jungen Band voller traditioneller 70er-Jahre-Musikwurzeln, die in Finnland geliebt und bei uns noch nicht entdeckt worden ist. Ihr Name: SAMMAL!

Selbstverständlich wusste meine Tochter, ebenfalls nicht nur Musikexpertin, sondern auch Musikerin, dass sie mit diesen Finnen, deren Musik sich aus einer feinen Retro-Rock-Variante der 70er Jahre zwischen URIAH HEEP und BLACK SABBATH bewegte, genau meinen Geschmack treffen und mich mal wieder in der schönen Musik-Vergangenheit - in der ja früher sowieso alles besser war - schwelgen lassen würde. Und das schlicht nach der Band benannte Debüt war wirklich ein Hochgenuss. Einer, der eben nicht neu, sondern richtig alt klang und nicht den Anspruch erhob, Grenzen einzureißen, sondern einfach nostalgische Lebensgefühle wieder zu erwecken.
Trotzdem gab es eine echte Besonderheit an „Sammal“. Statt sich nämlich zwecks weltweiter Massentauglichkeit als musikalische Sprache für die englische zu entscheiden, wurde die Muttersprache Finnisch gewählt. Eine verdammt mutige Entscheidung, zumindest aus Sicht derjenigen, die ein bisschen Ahnung davon haben, wie diese Sprache klingt und sich vielleicht noch an die Muppet-Show erinnern, in welcher der Koch sein dänisches „Smörrebröd, Smörrebröd, röm pöm pöm pöm!“ anpries.
Ähnlich wie diese dänische Butterbrot-Delikatesse klingt eben auch Finnisch. Dem Debüt war darum auch ein Booklet beigefügt, das neben den finnischen Originaltexten zugleich deren englische Übersetzung enthielt. Texte, die ein offensichtliches Konzeptalbum zum Vorschein brachten und die insgesamt recht dunkle Atmosphäre des Albums bildhaft voller metaphorischer Lyrik, in der es um die Befreiung aus den Zwängen derjenigen, die sich als (all)mächtige Führer verstehen, ging, untermalten.

Leider weiß ich nicht, ob etwas Ähnliches auch für „Myrskyvaroitus“ (Sturmwarnung) zutrifft, da die mir vorliegende, spärliche Promo-CD keinerlei Hinweise dazu enthält. Zu hoffen jedenfalls ist es, denn auch das neuste Musik-Werk mit hohem Nostalgie-Faktor gleicht in einer Beziehung hundertprozentig auch dem Sammal-Debüt: es ist komplett in finnischer Sprache eingesungen. Vielleicht schreckt das ja die weniger toleranten Musikhörer unter uns ab, aus meiner Sicht jedenfalls ist es eine ausgezeichnete Besonderheit dieser CD, die der Musik von SAMMAL nicht nur einen Ausnahmecharakter, sondern auch einen besonderen vokalen Reiz verleiht. Denn wer glaubt, dass sich Finnisch nicht als gesungene Sprache eignet, der wird bereits ab der ersten „Myrskyvaroitus“-Minute eines Besseren belehrt.

Höchste Zeit also, auch in Deutschland endlich SAMMAL für uns zu entdecken, denn diese Entdeckung lohnt sich!
Die Zeichen stehen also auf Sturm, was kann da besseres passieren, als dass uns SAMMAL mit ihrer musikalischen „Sturmwarnung“ (Myrskyvaoitus) beglücken?
Doch vorab gleich ein wichtiger Unterschied zur ersten CD der Finnen, den Gitarrist JURA SALMI deutlich mit folgender Feststellung auf den Punkt bringt: „Wir haben beschlossen, diesen Vergleich mit BLACK SABBATH und URIAH HEEP los zu werden und einfach nur noch SAMMAL zu sein. Unsere führenden Einflüsse während der Proben und im Studio waren VANGELIS, die MOODY BLUES. skandinavischer Jazz und früher türkischer Psychedelic-Rock. Wir sind bereit für unsere Wiederauferstehung.“
Also: „Welcome back in the Seventies!“, kann man da nur sagen, denn SAMMAL wären wohl nicht SAMMAL, wenn sie gänzlich alle Vergleichsgrößen für ihre Musik abgelegt hätten. Und die, welche sie selber vorgeben, sind auch unüberhörbar mit in „Myrskyvaroitus“ eingeflossen.

Auffällig ist die Dominanz der Keyboards bzw. Orgel (Hammond & Moog), die dem gesamten Album einen dicken Stempel aufdrücken. Natürlich klingen die Tastenspielereien dann auch nach VANGELIS und den MOODY BLUES, aber auch nach den DOORS oder die „April“-Zeit von DEEP PURPLE. Des Weiteren verabschieden sich SAMMAL fast gänzlich aus der Doom-Ecke und frönen voller Liebe dem psychedelischen Klanguniversum. Aber auch Folk-Elemente, getragen durch akustische Gitarren, elektronischen Minimalismus, E-Gitarren-Breitseiten und megafette Bässe sowie ein sich dezent im Hintergrund haltendes, aber trotzdem jederzeit spürbares Drumming, das genau in den richtigen Momenten auch mal ausbricht, machen die knapp fünfzig CD/LP-Minuten zu einem kurzweiligen, begeisternden Ereignis.

Nicht einen Moment möchte man glauben, dass "Myrskyvaroitus“ im Jahr 2015 entstand. SAMMAL entführen uns in die späten 60er und die frühen 70er Jahre, aber nicht ein Stückchen weiter. Selbst die Aufnahmen, remastert durch JAIME GOMEZ, der bereits PARADISE LOST und ULVER unter seinen Fittichen hatte, klingen so authentisch retro, voller faszinierender Stereo-Effekte und astreine Kanaltrennungen, dass solch alte Säcke wie ich vor lauter Leidenschaft nicht wegen ihrer Prostata-Schwäche, sondern wegen dieser hormonellen Musiknostalgie-Glücksgefühle ein paar Tröpfchen ins Unterhöschen vergießen.
Also Unterhose wechseln und Repeat-Taste drücken!

Nur eins bleibt am Ende nach wie vor klar: Wer unbedingt die Verbindung von Prog mit englischer Sprache als unerlässlich für ein „Sehr gut“-Gütesiegel voraussetzt, der wird nicht wirklich richtig warm mit dieser Sturmwarnung auf Finnisch. Wer allerdings aus dem Osten kommt, wo die wenigen progressiven Vorzeigegrößen sowieso in ihrer Muttersprache sangen, egal ob sie SBB, NIEMEN, COLLEGIUM MUSICUM, OMEGA oder STERN-COMBO MEISSEN hießen, für die werden SAMMAL ein progressives Freudenfest sein.

FAZIT: Die Mischung macht‘s bei „Myrskyvaroitus“! 60er und 70er Jahre Prog, mal als komplexer Longtrack, mal als zarte Akustik-Ballade, viel Freiraum für solistische Ausflüge, eindringlicher Gesang und immer wieder Orgel, Moog, Mellotron sowie Texte, die sich an den Landsleuten der Band orientieren und zu keinem Zeitpunkt ihre Muttersprache Finnisch verlassen. Eine gewagte und zugleich gelungene Mischung!

Punkte: 12/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 22.05.2015

Tracklist

  1. Stormwarning
  2. Jäyen Ohimarssi
  3. Samaan Arkeen
  4. Kohtaaminen Yön Vyöllä
  5. Muurahaisen Päwäuni
  6. Aika On Alkamassa
  7. Sulle Haavan Tein
  8. Kohti Pintaa
  9. Herätkää!

Besetzung

  • Bass

    Lasse Ilano

  • Gesang

    Janu Kiviniemi

  • Gitarre

    Jura Salmi, Juhani Laine

  • Keys

    Juhani Laine, Jura Salmi

  • Schlagzeug

    Tuomas Karivaara

Sonstiges

  • Label

    Svart Records / Cargo

  • Spieldauer

    48:38

  • Erscheinungsdatum

    15.05.2015

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