Haken. Schälen sich aus ebenen Flächen. Erheben sich über das Mittel. Schlagen sich in Fleisch und Geist, injizieren Ideen, die durch Ritualisierung greifbar werden. Es hat seinen Grund, dass im Booklet keine ganzen Songtexte niedergeschrieben sind, sondern jeweils die eine wiedererkennbare Zeile pro Song, die ihm seine Persönlichkeit gibt. Diese Zeilen unterliegen oft gebetsmühlenartiger Wiederholung, was dank Shyas mystischer Stimme keineswegs mit Redundanz im Zusammenhang steht, sondern eher mit einer angenehmen Form von Hypnose.
Und doch, bei aller Griffig- und Riffigkeit, „Pay One Bliss With Another“ ist zugleich sperrig. Nicht in seiner Gesamtheit greifbar. Nicht leicht auszurechnen. Bizarr und verquast in seinem elektronisch-metallischen Gewand und seiner Düsterrock-Atmosphäre, aber immer wieder auch geleitet von Tribal-Elementen und der einnehmenden Präsenz der Sängerin, die sich manchmal geziemt wie eine nymphenhafte Lady in Red in einer schattenumwobenen Jazz- oder Soulbar – um an anderer Stelle doch wieder wie eine Punkgöre zu klingen.
Und warum soll man ewig auf ein Weiterleben der Leipziger DISILLUSION hoffen, wenn Leipzig gewillt ist, anderswo nachzuliefern? Wenn UNLOVED abseits unerklärlicher Klang-Vertrautheiten, die man empfindet wie in einem anderen Leben erlebt, konkrete Querverweise zulässt, dann kann man „Pay One Bliss With Another“ vielleicht als pervertierte Ausformung des gemeinhin leicht unterschätzten Elektronik-Metal-Geniestreichs „Gloria“ betrachten, gepaart vielleicht mit einer Spur MADDER MORTEM. Ein großzügig gewobener Flickenteppich aus überwiegend grobfaserigem Stoff, geführt von kunstfertiger Hand, die zarte Kopfstimme eingebettet in radikal verzerrtes Gitarrenwerk, das mit Weißem Rauschen in Verwandtschaft steht und von Grunge-artigen Riffs in ein Muster gebracht wird. Bienenschwärme auf „Tempest“, Orientalisches und Punkiges gemischt auf „Fraud Ridicule“, partielles Elektronik- und Industrial-Übergewicht allenthalben, das Album ist eine Wundertüte und klingt zwanzig Minuten länger, als es ist; nicht, weil es sich zieht, sondern weil es schier unvorstellbar ist, wie sich so viele unterschiedliche Ansätze auf nur 49 Minuten verteilen können.
Auch praktizieren UNLOVED das Spiel mit dem Bewussten und Unterbewussten. Obwohl grundsätzlich als Kopfmusik konzipiert, die es auf textlicher wie musikalischer Ebene zu dechiffrieren gilt, kann man die Anlage doch als triebhaft bezeichnen; „Sober“ deutet dies sogar ganz konkret an. TOOL praktizieren diese Dichotomie ähnlich (wenn sie es auch anders kanalisieren) und passend zu deren „Eiern von Satan“ haben UNLOVED im Booklet ein humorvoll geschriebenes Backrezept zu bieten; einen Bienenstich, dessen Zubereitung aufzeigt, dass UNLOVED durch den Magen geht.
FAZIT: Apokalyptisch und banal zugleich, zieht das Leipziger Quartett alle Register menschlichen Fassungsvermögens und liefert eine faszinierende Mischung aus Alternative- und Elektronikklängen im dunklen Klangbild; eine schwierige Kombination, die schon viel Unschönes über die Welt der Musik gebracht hat. Ungeliebtes jedoch sollte in derartiger Form unbedingt weiterexistieren dürfen.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 21.03.2015
Tschacke
Shya
Mr
Clemens
Kick The Flame / Broken Silence
49:25
20.02.2015