Donnerstag, 2. April 2015: VAN HALEN sind wenige Tage nach ihrem TV-Debüt bei Jimmy Kimmel in der „Ellen DeGeneres Show“ zu Gast und spielen ihren vielleicht größten Hit 'Jump'. Was sich während dieser knapp vierminütigen Performance abspielt, lässt erahnen, warum sich die Band vierzig Jahre lang gegen einen Streifzug durch das amerikanische Fernsehprogramm sträubte.
Vor einem reinrassigen Hausfrauen-Publikum, das nicht viel mehr von dem Song zu kennen scheint, als die ikonische Synth-Melodie (aber trotzdem Freikarten für ein Konzert absahnen), präsentieren sich VAN HALEN abermals mit Paradiesvogel DAVID LEE ROTH am Mikro. Anno 2015 ist das nicht nur stimmlich eine Katastrophe, Mr. Roths Performance wirkt so deplatziert, anstrengend und aufgedreht, dass es mit reiner Fremdscham nicht getan ist. Mit seinen sechzig Lenzen traut er sich zwar noch an Kung Fu- und Dance-Moves, die Qualität eben dieser scheint er aber selbst - so könnte sein übertriebenes Clowns-Grinsen verraten - nur noch mit der richtigen Dosis gewisser Hilfsmittelchen ertragen. Auch Alex Van Halen hat nicht seinen besten Tag erwischt, denn er rumpelt hörbar steif durch den verhältnismäßig simplen Song. Nur Sohnemann Wolfgang Van Halen weiß seinen Bass so zu bedienen, dass Vater Eddies Gitarrenspiel nicht der einzige Lichtblick des Abends bleibt. Leider offenbart das durch diesen Auftritt beworbene Live-Album, dass ein anderes Publikum nicht unbedingt zur Besserung der Situation beiträgt.
Am 21. Juni 2013 spielten VAN HALEN im Zuge ihrer "Viva La Van Halen Tour" in Japans Hauptstadt Tokyo. Das haben die Asiaten wahrscheinlich auch den Europäern zu verdanken, die gerüchteweise nicht dazu bereit waren den horrenden Gehaltsforderungen der Hard Rocker nachzukommen. "Tokyo Dome Live In Concert" unterstützt diese Einstellung, denn obwohl die knapp 44.000 zahlenden Gäste der Sache durchaus wohlwollend gegenüber stehen, werden die Amis den Erwartungen nicht gerecht. Dabei wiederholen sich die Eindrücke, die man zwei Jahre später im Fernsehen sammeln durfte.
DAVID LEE ROTHs Interpretation des altehrwürdigen Materials könnte vorsichtig ausgedrückt als sehr frei beschrieben werden. Realistischer betrachtet trifft der extravagante Sänger kaum einen Ton, verzichtet fast völlig auf eine passende Phrasierung und scheint die Texte weder wortgetreu noch zum richtigen Zeitpunkt reproduzieren zu können. Bestes Beispiel: das bluesige Akustik-Gitarren-Intro zu 'Ice Cream-Man', bei dem ihm weder die wenigen Griffe in die Saiten gelingen noch eine überzeugende Gesangsleistung. Hinzu kommen die peinlichen Ansagen, in der er Japan ein paar Mal zu oft einbindet, was selbst die höflichen Landsmänner und –frauen irgendwann nicht mehr honorieren wollen. Besonders schlimm sind Roths Versuche einen auf dicke Hose zu machen, wenn zum Beispiel immer wieder völlig unnötig Eddie Van Halen unterbricht. Gut, dass es kein Konzertfilm geworden ist, es wäre aber wohl auch besser gewesen, wenn es Roth nie auf ein VAN HALEN-Livealbum geschafft hätte.
Dass Alex Van Halen 'Hot For Teacher' wirklich mal fehlerfrei runtertrommeln konnte, mag man heute nicht mehr für möglich halten. In seinem Drumsolo hört sich das zwar noch ganz ordentlich an, einen Beat und den dazugehörigen Takt und das Tempo zu halten, fällt ihm heutzutage aber deutlich schwerer. Folgerichtig rumpelt und scheppert es für eine selbsternannte Weltklasseband deutlich zu oft, die Einsätze stimmen nicht, insgesamt wirkt das alles nicht roh und unbearbeitet, sondern sehr hüftsteif und unwürdig gealtert. Das alles wird Maestro Eddie natürlich kaum gerecht, der sich immer noch sicher durch die schwierigsten Passagen wurschtelt und seiner Gitarre die unmöglichsten Töne entlocken kann. Dass einen die vermaledeite Darbietung des Materials schmerzt, spricht wiederum für die gelungene Songauswahl.
Gut, auf die drei neuen Song vom Reunion-Album "A Different Kind Of Truth" hätte guten Gewissens verzichtet werden können, weil sie nichts anderes sind als ein lauwarmer Aufguss der alten Großtaten. Ansonsten gibt es ein Hitfeuerwerk, das ausschließlich aus Songs besteht, die DAVID LEE ROTH eingesungen hat. Zusammen mit den zahlreichen Hits sorgen Synth-Songs wie 'I'll Wait' oder der schon angesprochene, luftige Rocker ‚Ice Cream-Man‘ für ein abwechslungsreiches Set der Marke "Stadionrock", das das Beste aus der Roth-Era zusammenbringt. Eddies Darbietungen bekommen genügend Platz, sind aber ebenfalls so variabel angelegt, dass die Trademarks nicht zum nervigen Klichée verkommen. Höhepunkt: das auf acht Minuten ausgedehnte Solo-Lehrstück ‚Eruption‘, das auch noch einmal offenbart, dass Eddie nicht nur was von Technik und Gefühl versteht, sondern auch auf einen fantastischen Sound setzt, der vor allem den verhältnismäßig aufgeräumten Songs zu Gute kommt. Aber all das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass VAN HALEN im fortgeschrittenen Alter nicht mehr die Power und Professionalität auf die Bühne bekommen, die sie sich selbst im Laufe ihrer Karriere als Maßstab gesetzt haben. Schade, dass wir Eddie wohl nie mehr in einer ihm angemessenen Bandformation sehen und hören werden.
FAZIT: Das zweite VAN HALEN-Livealbum zeigt eine Band, die ihrem Weltklasse-Gitarristen nicht mehr wirklich gerecht wird. Es ist zwar löblich, dass das Quartett einen rohen und unbearbeiteten Sound gewählt hat, Alex Van Halen und vor allem David Lee Roth sind aber nicht mehr ganz auf der Höhe, wodurch das Ganze extrem hölzern klingt. Die hochklassige Gitarrenkunst Eddie Van Halens sorgt zwar immer noch für offene Münder und die Songauswahl zeugt vom Stadionpotenzial des Materials, viel mehr kann das Doppeldisc-Set und die Band anno 2013 aber nicht leisten.
P.S.: Auch das Booklet kann nicht viel: statt Fotos vom Auftritt gibt es nur die Songtexte schlicht weiß auf schwarz.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 13.04.2015
Wolfgang Van Halen
David Lee Roth
Eddie Van Halen; David Lee Roth (Acoustic)
Alex Van Halen
Rhino/Warner
119:52
27.03.2015