An und für sich ist der Durchschnittsbürger eines "westlichen" Staats ja ein friedliebender Mensch, doch manchmal gibt es Tage, an denen man sich von Gott, der Welt und allen anderen Mächten herausgefordert fühlt. Nach einem Scheißtag, an dem man verpennt, weil der Smartphone-Wecker still und heimlich seinen Dienst quittiert hat, 'ne Beule am Auto sieht, aber keinen reuigen Täter, der Chef einen anranzt, obwohl er jemand anderen meint und die Frau stinkig ist, weil sie einen ebenso beschissenen Tag hatte, dann reicht trotz Abstumpfung die 100. PEGIDA-Kurznachricht, um plötzlich den Drang zu verspüren, mit der hauseigenen Schrotflinte nach Dresden fahren zu müssen, um die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Gut, dass es für diese Fälle XIBALBA gibt.
Die Kalifornier mit Wurzeln in Mexiko werden ihrem Namen nämlich mehr als gerecht und klingen tatsächlich wie die sagenumwobene Unterwelt aus der Maya-Kultur. Der kompromisslose Mix aus Hardcore, Sludge und Death Metal funktionierte schon 2010 auf dem Debüt, mit "Hasta La Muerte" gelang ihnen 2012 aber sogar der Sprung in das Portfolio einiger Musikjournalisten, die nicht vorrangig für ihre Metal-Affinität bekannt sind. Logisch, dass XIBALBA ihren Weg konsequent fortführen und sie auch mit "Tierra Y Libertad" neue Boshaftigkeitsrekorde aufstellen wollen.
Dazu nimmt die Band einfach die brutalsten und dreckigsten Bauteile, die ihnen bekannt sind und schweißt sich daraus den ultimativen Panzer. Schlammige Riffs werden so effektiv mit Death Metal-Drumming verbunden, dass selbst BOLT THROWER über diese brachiale Kriegsmaschine staunen dürften. Besonders in den langsameren Momenten beweisen XIBALBA, dass sie die ein oder andere Stunde mit CROWBAR-Platten und –Konzerten zugebracht haben, denn diese majestätischen Melodien sind unverkennbar von Kirk Windstein und seinen Mannen inspiriert. Oben drauf gibt es noch einen extra Schuss metallischen Hardcore, was der ganzen Geschichte eine sympathisch-punkige Assi-Kante gibt und fertig ist der Brei, der trotz all der Querverweise kein zusammengeklautes Etwas ist.
Viel mehr schaffen XIBALBA einen hässlichen Brocken, an dem man nur etwas finden kann, wenn man die blinde Wut der Band (wenn auch nur temporär) teilt. Andernfalls ist es kein Wunder, wenn „Tierra Y Libertad“ wie ein brutales Überfallkommando wirkt, bei dem man lieber das Weite sucht, bevor es schreckliche Dinge mit einem anstellt. Bei all der Aggressivität und unverminderter Härte darf aber nicht vergessen werden, dass hinter der fetten Soundwand Musiker stehen, die sich ganz genau überlegen, wie sie am meisten Schaden anrichten können. Wenn mitten im 6 ½-minütigen ‚En Paz Descanse‘ auf einmal die Handbremse gezogen wird und auch gesangstechnisch nicht viel mehr übrig bleibt als purer CROWBAR-Doom, dann weckt das die Hoffnung, dass tatsächlich noch jemand aus der alten ASPHYX-Formel gelernt hat: vertraue auf die Kraft der Abwechslung! Besonders gut klappt das auch in ‚Sie Dios Quiere‘, auf dessen doomiges Intro herrlich stumpfes Death Metal-Gerödel und wiederum brutal ausgebremster Sludge-Dreck folgt.
Aus der Reihe fallen nur das programmatisch betitelte ‚Pausa‘, um dem Hörer ein wenig Luft verschaffen, wenn er zuhause durchs Zimmer mosht, sowie das abschließende 13-Minuten-Ungetüm ‚El Vacio‘, in dem zum ersten Mal nicht nur die CROWBAR-Härte, sondern auch die -Melancholie zum Zuge kommt. Mit diesen Zutaten beschwören XIBALBA einen eklig-fragilen Moloch, der zu dem besten gehört, was die Band bislang geschrieben hat. Unterm Strich ist dann vielleicht doch etwas zu viel CROWBAR und etwas zu wenig Hardcore auf der Platte gelandet, was „Hasta La Muerte“ etwas besser zu Gesicht stand.
Trotzdem haben XIBALBA eine fette und heftige Platte eingespielt, auf der sie selbstbewusster ihren Stärken nachgehen und dementsprechend zwingender klingen. Zwar hören sie sich nicht gerade reifer an - das würde der Musik auch ihren Charme nehmen -, aber sie wissen, mit welchen Mittel sie ihr Ziel effektiver erreichen. Das beginnt mit der Entscheidung den Gitarren mehr Kontur einzugestehen und das Schlagzeug etwas mehr in den Hintergrund zu mischen und endet mit der Erhöhung des Death Metal-Anteils, während Hardcore eine etwas kleinere Rolle spielt. Aber all das waren richtige Entscheidungen, denn so klingen die Kalifornier noch überzeugender und entwickeln eine Durchschlagskraft, nach der so manche reine Death Metal-Band verzweifelt sucht.
FAZIT: Auf „Tierra Y Libertad“ entwickeln sich XIBALBA weiter, ohne dass sie allzu viel verändern oder gar „reifen“. Etwas mehr Death Metal, dafür etwas weniger Hardcore, außerdem etwas mehr Uptempo, um die unwiderstehlichen Bremsaktionen in Richtung Doom zu kontrastieren und schon entwickelt die Band eine noch größere, beängstigende Durchschlagskraft. Ein Album zum Dampfablassen, das gleichermaßen nach Moshern und Headbangern fragt und nichts anderes will als zu zerstören. Unterm Strich gibt es aber etwas zu oft CROWBAR-Melodien, als das man von einem Zufall sprechen könnte. Aber wenn dabei so geile Nummern wie ‚En Paz Descanse‘ oder das abschließende Monster ‚El Vacio‘ rauskommen, dann lässt sich auch das verschmerzen. XIBALBA schaffen einen unwiderstehlichen Hassbatzen, zu dem die zahlreichen Highspeed-Death-Metaller aufgrund ihres beschränkten Horizonts niemals in der Lage werden.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 26.01.2015
Bryan Valdivia
Nate Rebolledo
Brian Ortiz; Jensen Hucle
Jason Brunes
Southern Lord Recordings
43:29
26.01.2015