Als ZU 1999 ihr Debütalbum „Bromio“ veröffentlichten, muss das tatsächlich so etwas wie eine Innovation gewesen sein. Härter als Hardbop und jazziger als Progressive Rock, dem Kind einen Namen zu geben fällt schwer. Also gelang den Italienern damals noch das, was heute fast unmöglich scheint: Grenzen zu verschieben. Sechszehn Jahre später kann das Instrumental-Trio auf eine beeindruckende Diskographie zurückblicken und nimmt das zum Anlass, um das alles komplett zu zerschneiden.
So lässt sich zumindest der Albumtitel verstehen, nachdem die Platte ein paar Umläufe hinter sich gebracht hat. Nach einer dreijährigen Pause geht es unter dem Banner ZU noch extremer, kantiger und kompromissloser zu. Die Gitarren sind so tief gestimmt, dass sie fast nur ein undefinierbares Rauschen fabrizieren, die Songs bieten kaum stabile Strukturen, an denen sich der Hörer orientieren kann und die Drums werden so frei interpretiert, dass die exakte Live-Umsetzung unmöglich erscheint. Bei all den mutigen Experimenten in der Vergangenheit ist „Cortar Todo“ vielleicht das Free Jazz-Album der verrückten Band. Wie kann da der Genuss gelingen?
Es gibt keinen anderen Weg als den Sound zu mögen und das dargebotene Können wertzuschätzen. Während der Vorgänger „Carboniferous“ mit Gaststar MIKE PATTON noch über einen erkennbaren Plan und ein relativ aufgeräumtes Songwriting verfügte, wollen ZU anno 2015 nur noch anstrengend sein und klingen. Da werden die altbekannten Saxophone bis zur Unkenntlichkeit verzerrt und elektronische Effekte verbraten, die mehr Geräusch als Instrument sind. Obendrauf gibt es immer wieder fette Grooves, für die unverkennbar MESHUGGAH Pate standen. Aber im Vergleich zu den ausgeklügelten und präzise ausgerechneten Kompositionen der schwedischen Genies wirkt „Cortar Todo“ einfach wie ein improvisierter Gig, der im ersten Take für die Nachwelt festgehalten wurde.
Dieser klingt nach Groove Metal, Mathcore, Jazz, Ambient, technischen Störungen, Weltall und noch viel mehr, kann aber nicht anders konsumiert werden als mit Kopfhörern und verlangt nach einem angestrengten Bewusstseinszustand zwischen aufmerksamem Auseinanderklamüsern der einzelnen Teile und dem Einlassen auf den Klang und die Atmosphäre. Es gibt keinen roten Faden, keine Songs oder Passagen, die hängen bleiben, kurzum nichts, was einen dazu bringen könnte das Album noch einmal aufzulegen. Das ist einerseits konsequent, weil es die ureigene Idee des Jazz‘ ist mit traditionellen Hörgewohnheiten zu brechen, es fehlt aber einfach die umspannende Idee und die Innovationen, denn Jazz mit Metal auch auf anspruchsvolle und beeindruckendere Art zu kreuzen, das können auch IHSAHN, SHINING & co..
FAZIT: Mit „Cortar Todo“ brechen ZU mit ihrer eigenen Vergangenheit und verabschieden fast gänzlich von Songstrukturen und Widerhaken. Diesem schwer verdaulichen Ansatz, der auch eine einheitliche Atmosphäre vermissen lässt, kommen die Italiener konsequent nach, indem sie praktisch Free Jazz im Metalgewand spielen, viel mehr als den Sound und das Können kann der Hörer daran aber nicht genießen. Es fehlt ein Konzept, ein aha-Effekt, warum sich ZU zu diesem Album aufgerafft haben, wodurch es schwer fällt der Platte überhaupt etwas abzugewinnen. Was Innovationen angeht, spielen zum Beispiel SHINING momentan eine größere Rolle.
Punkte: 8/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 23.03.2015
Massimo Pupillo
Gabe Serbian
Saxophon - Luca T. Mai
Ipecac Recordings
39:13
24.03.2015