Wahrscheinlich wird mir ADAM GREEN gehörig in den Hintern treten wollen, wenn er hier liest, dass ich sein aktuelles Album, welches viel mehr als nur EIN musikalisches Projekt ist, als Folk-Musical bezeichne. Doch gerade dieser Begriff einer bis dato noch gänzlich unbekannten Musik-Richtung kam mir bereits während des ersten Hörens von „Aladdin“ in den Sinn. Ja, so ist das manchmal bei den schwierigen Beziehungen zwischen Künstlern und Kunstbetrachtern, die Absicht des einen erreicht nicht immer zugleich die beabsichtigte Wirkung beim anderen. Aber trotzdem kann sie einen schwer beeindruckten Betrachter, oder im Falle von „Aladdin“ auch Hörer, hinterlassen, selbst wenn der bunte Vogel ADAM GREEN feststellt: „Das hier ist kein Musical oder so was. Es gibt ein Album und einen Film - und wenn beides zusammenfindet, ergänzt das eine das andere.“
Manchmal liegen allerdings beide Wahrheiten sehr dicht nebeneinander! Denn „Aladdin“ ist tatsächlich nicht irgend so ein Musical, sondern eher die Verwirklichung der BRECHTchen Musical-Philosophie, die bereits in den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts in der grandiosen „Dreigroschenoper“ ihre Vollendung fand. „Aladdin“ wiederum ist eben <a href="https://www.youtube.com/watch?v=ahrVPhE85BE" rel="nofollow">ADAM GREENs multimediale „Dreigroschenoper“ im Comic-Style</a>, die sogar noch einen Schritt weiter geht, indem sie die darin erzählte Geschichte via Musik und Film separat präsentiert und so im Einzelnen genauso wie in ihrer Gesamtheit funktioniert!
Hinzu kommt sogar noch ein dritter Kunstaspekt, denn alle Inspirationen zu „Aladdin“ kamen aus Greens eigener Kunstausstellung, bei der er sich in seinen eigenen Bildern von klassischen Comic-Figuren aus dem Hause Disney, wie beispielsweise Donald Duck, beeinflussen ließ: „Damals habe ich eine Art symbolisches Alphabet aus diesen Figuren kreiert. Für mich sind Album, Film und Ausstellung nun die logische Weiterentwicklung des Konzepts, in dem es unter anderem um den Einfluss der Technik auf unser Leben sowie totalitäre Systeme und die Liebe in Zeiten des Internets geht!“
Schon an diesen Ideen - und später auch an der „Aladdin“-Musik - merken wir, wie sehr sich ADAM GREEN immer mehr in Richtung des legendären Musik-Chamäleons DAVID BOWIE entwickelt, dessen Tod eine riesige Lücke in unserer Musik-Kunstwelt hinterließ.
Versucht ADAM GREEN tatsächlich, diese nun zu schließen?
Ich denke schon!
Denn auch ein ADAM GREEN erfindet sich jedesmal neu - und bleibt sich dabei doch immer treu. Im Falle von „Aladdin“ können wir das nicht nur auf einer Kunstausstellung oder <a href="https://www.youtube.com/watch?v=_P5TSZDy0F0" rel="nofollow">einem Film</a> sehen, sondern auch klar und deutlich auf Vinyl und CD hören.
Gleich beim ersten Song „Fix My Blues“ glaubt der Hörer, sich in ein TINDERSTICKS- oder ruhiges NICK CAVE-Album verirrt zu haben. Diese etwas melancholisch anmutende Intensität, welche auf kristallklaren Sound trifft, zündet sofort. Hier also beginnt unsere Reise mit Aladdin, welche klar strukturiert, aber nicht etwa einseitig instrumentiert verläuft. Einem meist kurzem Song folgt ein Original-Sprechtext aus dem Film, sodass auf LP/CD in knapp 40 Minuten jede Menge Songs und ein paar kurze Originaltexte aus dem Film untergebracht sind. Hierbei wird die Geschichte um Alad(d)in neu erzählt. Denn Aladdin hat eine Lampe, die geformt wie ein Penis ist und Sperma verspritzt, bevor der Geist erscheint und mit der Hilfe eines 3-D-Druckers alle Wünsche von Aladdin erfüllt. Das muss man einfach gesehen und gehört haben. Und während ich hier die LP-Hülle in meinen Händen halte und das schwarze Vinyl sich zum x-ten Mal auf meinem Plattenteller dreht, spüre ich nach wie vor die unverhohlene Freude beim Hören der dadaistischen Musikkunst, die nur auf den ersten Blick oberflächlich erscheint, auf den zweiten aber sich wie ein hölzerner Pflock in das Herz eines Vampirs rammt.
Greens musikalische Begleiter auf „Aladdin“ sind neben dem Multiinstrumentalisten JOSIAH STEINBRICK und Keyboarder NOAH GEORGESON, beide bekannt durch DAVENDRA BANHART, noch STELLA MOZGAWA von WARPAINT am Schlagzeug und der brasilianische Gitarrist RODRIGO AMARANTE von LITTLE JOY. Und die legen sich ordentlich ins Zeug, damit die Songs mal wie ein Kinderliedchen, dann wie aus einem Computerspiel, aber auch wie eine flotte Rocknummer oder gar ein Geburtstags-Mambo klingen. Dann wiederum gibt es noch solch traurige Balladen wie <a href="https://www.youtube.com/watch?v=iEFKYccm9XM" rel="nofollow">„Never Lift A Finger“</a> oder „Trading Our Graves“ zu hören, die am intensivsten wirken. Beim „Chinese Dance Theme“ fühlt man sich gar an die „Green Onions“ von BOOKER T. & THE M.G.‘s erinnert. Und genauso viele Häute wie die grünen Zwiebeln hat auch die Musik von ADAM GREENs „Aladdin“. So - und dieser letzte Vergleich sitzt!
Für alle abgefahrenen Zeitgenossen und Kunstliebhaber ein absolutes Muss. Denn mit „Aladdin“ überschreitet ADAM GREEN alle möglichen medialen und Kunst-Grenzen, um sie am Ende in einer Mischung aus Ironie, Ernsthaftigkeit, Banalität, Leidenschaft, Wahnsinn und Genialität miteinander zu vereinen.
Wo andere Mauern aufbauen, um Schubladendenken zu verbreiten, reißt Green sie nicht etwa mit dem Arsch, sondern dem Kopf ein!
FAZIT: „Ich mische Musik, Film und Kunst, um quasi <a href="https://www.youtube.com/watch?v=JAYeqrGK6PA" rel="nofollow">aus meinen Gefühlen intellektuelles Gold</a> zu machen!“, behauptet ADAM GREEN, wenn er über „Aladdin“ spricht.
Eine alchemistische Kunst-Meisterleistung, die sich jeglicher Punktwertung entzieht!
Erschienen auf www.musikreviews.de am 05.05.2016
Josiah Steinbrick, Ben Flesch
Adam Green, Binki Shapiro, Rodrigo Amarante
Adam Green, Rodrigo Amarante, Josiah Steinbrick, James Richardson
Noah Georgeson, Rodrigo Amarante, Josiah Steinbrick, James Richardson
Stella Mozgawa, Loren Humphrey, Rodrigo Amarante
Revolver Distribution Services / Rough Trade
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29.04.2016