Was AICAN mit nur vier Songs schaffen, lässt sich ansehen und natürlich auch anhören: Das Märchenkonzept dieses Albums geht vollends auf, denn der enthaltenen Musik von wohnt etwas Geheimnisvolles, Träumerisches inne, das sich geradezu für einen Abend oder zwei im eigenen Kopfkino aufdrängt. In diesem Sinne handelt es sich bei "Don't Go Deep Into The Forest" um ein cineastisches Werk, das auf der Basis bekannter Zutaten durchaus frische Impulse setzt.
Der gar nicht heimliche Star der Gruppe ist Gitarrist Vitaly Pereladov, der flirrende Riffs, singende Leads und die Hooks an sich einreicht, wobei er immerzu äußerst finstere Gitarrensounds allein mit Effekten erzeugt. Als Dreh- und Angelpunkt der Platte fungiert in dieser Hinsicht eindeutig das 20-minütige Titelstück, das zwischen Versonnenheit und Düsterkeit schlingert, ohne vorhersehbar zu werden. Den luftigen Mittelteil etwa hätte man in dieser Form genauso wenig erwartet wie das nachgerade jubilierende letzte Drittel. Es muss eben nicht immer zum naheliegenden Einsturz lauter Klangmauern kommen …
Das eröffnende "The Field of Boneless Creatures" erweist sich noch als recht konventioneller, schwerfälliger Post Rock mit Metal-Ausschlägen, aber alles weitere beeindruckt durch seine Überraschungsfreude bei gleichzeitiger Wahrung von Konventionen ohne abgeschmackten Hauch. "Enio’s Drowsy Lake" rührt an dritter Stelle fast zu Tränen, und zunächst rechnet man bei so viel akustischem Schönklang fast mit einsetzendem Gesang. Freilich, man wird enttäuscht, und das ist auch gut so.
Am Ende hält die Scheibe nämlich - die Dauerrotation in diesem Hörerhaushalt beweist es - lange bei der Stange, und "Mental Butter Spray" setzt ihr die Krone auf. Das leise mit Keyboard-Fahnen beginnende Finale, das nur ein wenig kürzer als das Titelstück ist, wird schließlich verboten heavy und groovt von allen Kompositionen mithin am stringentesten, wird dabei jedoch nicht monoton. Das bedrohliche Moment wird letztlich aufgeweicht und somit auch zusammengefasst, worum es AICAN zu gehen scheint: Relativierung extremer Emotionen, quasi tonale Lebenshilfe, denn ...
FAZIT: ... Musik kann heilen und wie im Falle dieser Russen gleichzeitig anregen. AICANs zweite (oder in der Chronologie des Labels erste) Veröffentlichung ist ein sehr spannendes Stück Instrumentalmusik geworden. Der Name "Don't Go Deep Into The Forest" fungiert dabei gewissermaßen als Warnung wie Verlockung.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 19.11.2016
Max Schein
Vitaly ‘Krikston’ Pereladov
Roman Varaksin
RAIG
54:33
08.10.2016