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Bummelzug Expedition / Bummelzug Explosion: In der Ferne (2013) / In die Ferne

Stil: Jazz Rock

Cover: Bummelzug Expedition / Bummelzug Explosion: In der Ferne (2013) / In die Ferne

Was doch manchmal so ein klitzekleiner Artikel ausmacht!
In der modernen Jazz-Musik dank BUMMELZUG EXPLOSION gleich einmal zwei statt einem Album!
Damit die Sache aber noch verrückter wird, nannte sich die Band auf ihrem ersten „Ferne“-Album noch BUMMELZUG EXPLOSION und tauschten auf der Fortsetzung das explosive Wort durch EXPEDITION aus.
Wenn es nach mir ginge, dann sollten die BUMMELZUG EXPerten ganz schnell noch einen dritten Artikel zwischen „In“ und „Ferne“ einfügen („In das Ferne“ ginge sogar!) und einen dritten Teil ihrer musikalischen Bummelzug-Jazz-Expedition herausbringen, der die großartige Qualität dieser ersten beiden Teile fortsetzt.

Schon die Idee, ihre ersten beiden Alben nur als Vinyl plus Download-Code zu veröffentlichen, verlangt Hochachtung ab, denn hier kehren ganz junge Musiker wieder dorthin zurück, wo sich wirklich gute Musik abspielen sollte: ins heimische Wohnzimmer, in dem man vor seinem Plattenspieler sitzt und genussvoll dem zuhört, was sich da an schwarzem Klang-Gold auf dem Plattenteller dreht. Denn eins ist klar: diesen verspielten, experimentellen, improvisationsreichen Jazz-Rock kann man nicht so einfach nebenbei hören. Man muss ihn genießen, vorausgesetzt man hat zwei offene Ohren und einen offenen Geist, um solche(r) Musik folgen und mögen zu können. Alle anderen sollen weiterhin dort bleiben, wo der Pfeffer digitaler Massendownloads wächst, der oftmals ungehört die Festplatten bevölkert. Denn bereits solch Band-Name zeigt uns, dass es hier nicht um Highspeed und schnelllebige Bits und Bytes geht, sondern eine BUMMELZUG EXPEDITION durch die Musik, welche sich im Diesseits des Jazz und im Jenseits des Rock abspielt und sogar zu einer EXPLOSION führen kann!
Im „Jazzthing“ spricht Wolf Kampmann sogar von „schillernden Songgebilden zwischen PINK FLOYD und ORNETTE COLEMANs Prime Time, gleichermaßen urban und entrückt.“
Na, wenn das kein jazz-rock-musikalischer Ritterschlag ist!

Im ersten Teil des bisher zweiteiligen Werks, das rein instrumental ist, wird laut JANIS GÖRLICH - der Schlagzeug spielende Bummelzug-Kopf - die dramatische Liebesgeschichte von Lawrence von Arabien und seiner Geliebten Mimi erzählt. Wer das in der Musik heraushören kann, hat Glück, wer nicht, ebenfalls, denn die Musik ist mal sehr melodiös, mal frei improvisiert und immer ein feines Klangerlebnis voller überraschender Wendungen. Hier ist der freie Jazz noch in der Vorhand, im folgenden Album sind es dann mehr die Melodien, welche die musikalische Hoheit erlangen.

Der zweite Teil - ebenfalls instrumental, aber natürlich als „Lawrence & Mimi in Love“-Version - schlägt dem Musik-Fass doch glattweg den Boden aus, denn was die junge deutsche Jazz-Band hier zustande bringt, klingt nach den besten Zeiten, in denen ZAPPA sich dem Jazz zuwandte oder ein PIERRE MOERLEN nach dem Ausstieg bei GONG seine eigene Jazz-GONG-Crew mobilisierte, um (auch mit der Beteiligung von MIKE OLDFIELD, bei dem er live hinter Schlagzeug und Gong saß) Jazz-Rock vom Feinsten schuf.
Schon das eröffnende <a href="https://www.youtube.com/watch?v=xbI5pF8BW7g" rel="nofollow">„Prolog: Pianoborg / Manchord“</a> macht neugierig auf die Bummelzug-Fahrt durch „In die Ferne“, bei der so etwa alles an Instrumenten aufgeboten wird, was wir in Rock und Jazz zu schätzen wissen: E- und akustische Gitarren, Saxo- und Vibrafone, Orgeln, Piano, Synthies und natürlich jede Menge Percussion und Schlagzeug. Viele Stücke bauen sich boleroähnlich bzw. postrockend auf, indem sie verhalten beginnen und sich in Tempo und Volumen steigern oder einfach nur aus einem freien Experiment bombastische Melodiebögen zaubern, die einen sofort packen. Und damit es nicht zu anstrengend wird, dürfen wir immer wieder in einer Bar-Jazz-Atmosphäre entspannen oder entspanntem Piano-Geklimper lauschen, bis dann plötzlich die besagten „Floydismen“ auftauchen und die wichtige Prise Prog als „In die Ferne“-Sahnehäubchen ins Spiel bringen.

Auf „In die Ferne“ erfolgt die Vereinigung der 60er Jahre mit zeitgenössischer und moderner Klangvielfalt bis hin zu Noise, der, wenn er gerade zu nerven beginnt, eine plötzliche 180°-Wendung in Richtung Pop vornimmt. Das Bummelzug-Septett unter Leitung von Lokführer JANIS GÖRLICH setzt sich tatsächlich aus „jungen Wilden“ zusammen, welche bereits in ganz Europa ihr musikverrücktes Unwesen treiben und aus Island, Norwegen, Schweden und Deutschland kommen. Schlagzeuger Görlich ist sogar deutlich erfolgreicher in der liedermachenden Pop-Band DOTA unterwegs.

Auch wenn sich Jazz heutzutage leider nur als Nischen-Musik eignet, so ist das, was unter Leitung von JANIS GÖRLICH auf „In der Ferne“ und „In die Ferne“ abgeht, ein ganz fetter Jazz-Rock-Brocken, der einen mal wie ein Bummelzug und mal wie ein Intercity überrollt!

FAZIT: Was für den Fahrgast das pure Grauen ist, wird für den Freund ansprechenden Jazz-Rocks das wahre (Hör-)Vergnügen. Willkommen im BUMMELZUG, der während seiner EXPEDITION durchaus auch mal zur EXPLOSION führen kann. Und nur echt als LP!

Punkte: 13/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 06.06.2016

Tracklist

  1. „In der Ferne (2013)“
  2. Seite A:
  3. Mangel an Lichtt
  4. Mimi
  5. Lassy
  6. Die Unschärfe
  7. Seite B:
  8. Lawrence
  9. In der Ferne
  10. Happy End
  11. Fratze I (Vinyl Only)
  12. Bonus:
  13. Minimal
  14. Lassys letzter Auftritt
  15. Wenn die Kriech- und Schalentiere ...
  16. „In die Ferne (2016)“
  17. Seite A:
  18. Prolog: Pianoborg / Manchord
  19. Die Unschärfe
  20. Fratze II
  21. Fratze III
  22. Seite B:
  23. Kleine Wüstenmaschine
  24. (Epic)
  25. Mit Ohrensausen
  26. At The Arab Bureau
  27. Ms. Bell
  28. Große Wüstenmaschine (Vinyl Only)
  29. Bonus:
  30. In die Ferne
  31. Kleine Wüstenmaschine (Alternate Take)
  32. (Epic) Septet Version
  33. Lassy (Septet Version)

Besetzung

  • Gitarre

    Daniel Bödvarsson, Henrik Thor Oscar Olsson

  • Keys

    Jonas Hauer

  • Schlagzeug

    Janis Görlich

  • Sonstiges

    Federico Lacerna, Otis Sandsjö, Uli Kempendorff (Saxofone), Julius Heise (Vibraphone)

Sonstiges

  • Label

    Shoebill Music

  • Spieldauer

    42:03 / 57:18

  • Erscheinungsdatum

    27.05.2016

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