Musik sollte ja normalerweise möglichst ganzheitlich eingenommen werden, um bestmöglich zu wirken; bei Ein-Mann-Armee Christian Cutuli müssen wir aber eine Ausnahme machen und Stimme vom Weizen trennen.
Es erfordert ein wenig Fantasie, aber man stelle sich Cutulis Debüt unter dem Pseudonym CALM 'N' CHAOS mal in rein instrumentaler Ausgabe vor. Man träfe auf eine geschlossene Soundwand im elektronischen Dunstfeld mit schlichten, aber einprägsamen Pianoläufen und viel aufsteigendem Dampf aus Kanaldeckeln vereinsamter Seitenstraßen. Wenn nötig, eine dezente Gitarre, um den nötigen Grip zu besorgen. Urban Beats als Begleitung. Wiedererweckung der Ära der Synths als Nebenprodukt. Weltmusikalische Allgemeingültigkeit entsteht bei der Verwendung exotischer Streicher (etwa mit Klassik-Orientierung auf „Mind Opera“ oder wie auf „My Life Is Changing“ wie aus chinesischer Folklore entliehen) und dumpfer Hintergrundchöre. Ein satter Strich orchestraler Melodramatik ist dabei stets präsent, ohne den Pathos überzustrapazieren und ins Parodistische zu übersteuern – das besorgt dann schon Cutulis Stimme in der Vollversion.
Ehrlich, dieser Cutuli ist schon eine Schau. Im Promozettel wird mit der einzigartigen Stimmfärbung geworben, dabei resultiert die Einzigartigkeit in erster Linie aus dem beispiellosen Mut zur Hässlichkeit, zu der sich sonst kaum jemand öffentlich bekennen würde. Cutuli setzt tiefdunkel an (irgendwo in der schwarzen Tiefseeschicht, wo Viperfische beheimatet sind) und presst sich dann oft gedrungen in höhere Oktaven, dorthin also, wo das Licht wieder scheint. So klingt man in der Regel, wenn man einen Klos im Hals sitzen hat und den Sitznachbarn verzweifelt darauf hinweisen will, er möge doch einmal kurz auf den Rücken klopfen.
Dieter Bohlens Buzzer würde angesichts der Abkehr von Schönklangmustern glühen wie Rudolfs Nase, doch glücklicherweise sind wir ja hier nicht im Land der Geschmacksgleichschaltung, sondern akzeptieren auch schrägere Darbietungen. Nun muss man es natürlich trotzdem nicht mögen, wie Cutuli seine wirklich schönen Soundscapes mit der eigenen Stimme vollkleistert, zumal er ihnen damit eine völlig verdrehte Wirkung verleiht. Gleichwohl bleibt die Mischung eben nicht ganz ohne Reiz. Wenn man so will, lebt „Unextraterrestrial“ von der Zersetzung des Vollkommenen durch das Unvollkommene. Das Prinzip der Einzigartigkeit greift am Ende doch, denn wie oft mögen einem solch obskure Stimmfärbungen auf solch runden Soundscapes in den Gehörgang geraten?
FAZIT: CALM 'N' CHAOS birgt einfallsreiche, mit vielen weltmusikalischen Einflüssen durchsetzte elektronische Arrangements in einem Geltungsrahmen zwischen Soundtrack und Pop, die sich einem relativ breiten Publikum wenigstens zur chilligen Hintergrundberieselung anbieten würden, wenn schon nicht zum bewussten Hören. Die eigenartige Intonation in Christian Cutulis Stimme stutzt den Wirkungsgrad allerdings zur Kategorie Special Interest zurück. Eine Empfehlung sei also ausgesprochen, aber nur für Liebhaber des Absonderlichen.
Punkte: 9/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 18.12.2016
Christian Cutuli (alles)
Goodfellas
35:38
16.11.2016