Es ist die Zeit der Rückkehrer aus der 90er-Alternative-Szene: Nach UGLY KID JOE, um nur ein One-Hit-Wonder zu nennen, das sich erneut aufraffte, tun dies auch CANDLEBOX, die der letzten Dekade des 20. Jahrhunderts eine recht eigene, kunstvolle Art von Rock angedeihen ließen: Grunge sagte man in Ermanglung besser treffender Sparten-Ausdrücke dazu - die Band kommt ja auch aus Seattle, aber wie dem auch sei: Jetzt erscheint nach vierjähriger Pause das sechste Album der Gruppe und ist ein erstaunlich frisches.
Die 2008 nach zehnjähriger Funkstille wiedererstandene Combo begeht auch heute nicht den Fehler, auf den Erfolgszug ihres frühen Mega-Erfolges "Far Behind" zu springen, indem sie zwanghaft etwas Ähnliches zu komponieren sucht. Ohnehin sind die Zeiten nun andere, und dem werden CANDLEBOX mit "Disappearing In Airports" gerecht, ohne sich gleich neu zu erfinden. Die Musiker um Goldkehle Kevin Martin, der nach wie vor das Aushängeschild der Gruppe ist, führen den auf ihrem Comeback "Into The Sun" etablierten (erwachsenen? gereiften?) Stil heuer weiter fort, undem sie auf introvertiert wirkende, definitiv dichterische Texte setzen, gediegener Härte ("I've Got A Gone") aber keine völlige Absage erteilen. Dass die durchweg energetischen Stücke mit dem besonders entschieden stampfenden "Keep on Waiting" enden, mag ein Wegweise für eine weiterhin arbeitsreiche Zukunft im Staate Washington sein.
Martins androgyner Gesang steht im Brennpunkt und macht die neuen Songs den aktuellen Sachen von beispielsweise COHEED AND CAMBRIA nicht unähnlich. Die Single "Vexatious" ist sogar mit einer der schwächsten Songs der Platte, wohingegen schon "Supernova" daraufhin mit seiner funky Note daran erinnert, dass sich CANDLEBOX von jeher schlecht in Schemata pressen ließen und Gitarrenmusik ganzheitlich auffassen. Was die Band gerade heute vor allen Dingen auszeichnet, ist das hörbar mangelnde Kalkül, das jedem Künstler abgeht, der noch die Zeit vor überbordender Selbstdarstellung im Internet kennt, zumal das Quintett im verhältnismäßigen Alter sowieso bestimmt nicht mehr auf Teufel komm raus zu Superstars avancieren möchte. Das alles liegt vielleicht dankenswerterweise hinter den Jungs.
FAZIT: Alternative Rock der alten Schule ohne Mief mit Gegenwartsbezug und damit vollends gerechtfertigt. CANDLEBOX tanzten immer noch eine Reihe hinter den ALICE IN CHAINS und SOUNDGARDEN dieser Welt, werden dies wohl auch weiterhin tun und sind dennoch ein relevanter Act, der dem Treiben in diesem Umfeld einen zusätzlichen Farbton auftupft. Von greiser Befindlichkeit ist bei allem Nachdenken in den Texten nichts zu bemerken.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 19.04.2016
Adam Kury
Kevin Martin
Kevin Martin, Brian Quinn, Mike Leslie
Dave Krusen
Eternal Sound / Membran
46:58
22.04.2016