Es war einmal eine Krautrock-Band, die trug den schönen Namen TIBET und hatte eigentlich gar nichts mit dem Hochland Zentralasiens zu tun, das man auch ganz einfallsreich schön das „Dach der Welt“ nannte. TIBET wollten lieber die Krautrocker der Welt sein und spielten darum in den 70er Jahren Rock mit orientalischem Einschlag, wobei sie auch Sitar, Flöten, Geigen, Tablas und Saxofone mit einbanden. Dann wurden sie immer progressiver und auch etwas jazzig, doch das Glück und der Erfolg sollte ihnen nicht hold sein und schon nach einem Album lösten sie sich 1980 auf. Hört man sich dieses Album heute an, dann wird wohl jeder Krautrockfreund eine Träne vergießen, dass TIBET es nicht auf mehr LP‘s als diese eine gebracht hat.
Doch zum Glück geht die Geschichte weiter – zwar nicht unter dem Namen TIBET, sondern als CINEMA, aber mit dem Gründer von TIBET, JÜRGEN „PÖNGSE“ KRUTZSCH. Leider nur hat sich auch der vom proggigen Kraut verabschiedet und wendet sich auf „Isolation“ deutlich dem Electro-Pop der „One Night In Bangkok“-Marke oder SUPERMAX plus VISAGE und ALAN PARSONS PROJECT zu. Dazu gibt‘s im ausgewogenen Wechsel, neben den mit weiblichem und männlichem Gesang angereicherten Songs, auch immer einen Instrumentaltitel, der trotz dem unvermeidlichen Pop-Appeal seine elektronischen Fühler mal in Richtung VANGELIS, dann wieder TANGERINE DREAM und am deutlichsten EROC ausstreckt.
So wird aus „Mediterranean Sunset“ eine schöne instrumentale „Wolkenreise“ im Stile EROCs, wobei als absoluter Höhepunkt der Saxofon-Part mit leichtem Jazz-Feeling, gespielt von RICHARD BRACHT, ist.
Unverkennbar hat sich JÜRGEN KRUTZSCH mit seiner CINEMA-Musik auf „Isolation“ aus dem Jahr 1985 auch vom „Neue Deutschen Welle“-Virus infizieren lassen. Und das Hören von „Isolation“ hat wirklich keinerlei isolierenden Momente, sondern viel mehr erinnernde an eine Zeit, die nicht umsonst einen nur temporären Musikcharakter besaß.
Gerade darum machen die stärksten Momente von „Isolation“ die reichlich vorhandenen Saxofon-Teile aus. Doof aber ist, dass diese Parts fast permanent ans Ende der Titel gesetzt und meistens ausgeblendet werden. Eine blöde Marotte der 80er-Jahre, als viele Songs mehr auf Radiotauglichkeit getrimmt werden mussten, was besonders auch in der Beschränkung der Laufzeit auf allerhöchstens 5 Minuten bestand. Noch brutaler wäre wohl die Vermutung, dass vielleicht für‘s Radio sogar die Saxofon-Parts (durch vorzeitiges Ausblenden nach ca. 3 Minuten) entfernt wurden, weswegen sie sich am Titelende befinden. Trotzdem sind sie das Beste auf „Isolation“. Doch diese Zeilen schreibt schließlich ein Kritiker, der für den Radio-Mainstream größtenteils nur noch Verachtung übrig hat.
Aber es gibt auch noch eine weitere Besonderheit, die man unter der CINEMA-Homepage selbst erfahren darf: „Die ungünstigen Bedingungen der Aufnahmesessions dürften wohl der dilettantische Charme dieser Produktion geschuldet sein. Pöngse begann nämlich zunächst in einer Abstellkammer mit verschiedenen Geräten zu experimentieren und ging erst in einer relativ späten Phase ins Studio, um die Aufnahmen mit verschiedenen Musikern zu komplettieren. Nette Anekdote: Erst als die LP fertig produziert war, merkte Pöngse, dass auf der gesamten Produktion kein einziger Gitarrenton zu hören war. Es hatte ihm wohl so gut gefallen, sich auf verschiedenen Synthesizern auszutoben, dass er die Gitarre schlicht vergessen hatte.
Hat bei ELP ja auch funktioniert!“
Ob es bei CINEMA funktioniert, darf nun jeder für sich entscheiden.
Vorausgesetzt er besorgt sich das liebevoll von Sireena Records als limitierte LP-Neuauflage herausgebrachte 180g-Vinyl im Original-Artcover. Mal wieder ein spannender Musik-Blick zurück im tollen Vinyl-Retro-Look!
FAZIT: Wenn uns das elektronisch verfinsterte, trotzdem fein rhythmische „The Duke Of Darkness“ aus der 85er „Isolation“-LP von CINEMA entlässt, dann dürfen wir wieder in längst vergessenen Erinnerungen schwelgen, die sich zwischen synthetischem Kraut und NDW-Pop bewegen.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 10.08.2016
Helmut Jost
Jürgen Krutzsch, Richard Hagel, Birgit Liene, Heike Wiechert
Jürgen Krutzsch, Dirk Schmalenbach, Thomas Adam
Thomas Adam, Dirk Schmalenbach
Richard Bracht (Saxofon)
Sireena Records / Broken Silence
36:18
29.07.2016