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Reviews

David Bowie: Blackstar

Stil: Art Pop/- Jazz

Cover: David Bowie: Blackstar

Eine analytische Rezension des letzten Albums von DAVID BOWIE sollen prosaischere Gemüter vornehmen, dies wird meine zweite 15/15 Kritik auf diesen Seiten sowie eine Menge Abschweifungen und Abschiednehmen. Volle Punktzahl für ein grandioses Werk, das am Ende des Lebens eines der einflussreichsten Künstler der letzten vier Jahrzehnte steht.

Am achten Januar wurde DAVID BOWIE 69 Jahre alt, am gleichen Tag erschien sein achtundzwanzigstes Studioalbum „Blackstar“. Ein konsequent schwarzer Monolith, BOWIEs beste Arbeit seit „Scary Monsters“, musikalisch zu „Low“ und „Heroes“ aufschließend, noch konsequenter in der künstlerischen Gestaltung. Zwei Tage nach der Veröffentlichung ist DAVID BOWIE gestorben. Sagt man. Doch wir wissen alle, wahre Helden sterben nie.

Im Nachhinein passt es perfekt. Geburt, kreativer Höhepunkt und Tod an einem ganz bestimmten Punkt der persönlichen Zeitleiste. Es würde zum Meister der Selbstinszenierung passen, dem Chamäleon, das sich nicht an seine Umgebung, an die Einflüsse um ihn herum anpasste, sondern sie anzog und einsog und so lässig wie euphorisch wieder absorbierte. Bei weitem nicht jeder Anzug passte. Es gab mäßige, orientierungslose Alben, gruselige Songs, und den verzweifelten Versuch als DAVID BOWIE Teil der durchschnittlichen TIN MACHINE zu sein. Der natürlich missglückte, weil BOWIEs (ernstgemeintes) Bestreben, nur ein Bandmitglied unter anderen zu sein, bei seiner Popularität nicht funktionieren konnte. Nur wenige kamen wegen TIN MACHINE. Alle kamen wegen DAVID BOWIE.

Als Schauspieler landete er in einem der größten Flops aller Zeiten („Schöner Gigolo, armer Gigolo“) und sein zeitweises Liebäugeln mit der Ikonographie des Faschismus ließ ebenfalls ratlos zurück. Doch das gehört zur Identität des ewig Suchenden, sich in einem Labyrinth zu verirren, verlaufen und wieder herauszufinden. DAVID BOWIE gelang auch das. Jedes Mal, ob es sich um Drogen oder Uniformglanz handelte, und irgendwie konnte man ihm nie böse sein. Der Mann hatte Stil, war Stil, selbst im Scheitern. Er hätte zugedröhnt kopfüber eine Treppe herunterstürzen können und die Anwesenden hätten ihm Anerkennung für einen gelungenen Stunt bezeugt. In seinem Anzug wäre keine zusätzliche Falte gewesen. Das hätte außer ihm nur Bryan Ferry geschafft.

Doch was heißt schon Flop? „Gigolo“ brachte das wahrhafte DAVID-Dreamteam zusammen, BOWIE und HEMMINGS, Marlene Dietrich trat zum letzten Mal in einem Film auf; auf „Never Let Me Down“ rappte Mickey Rourke. Selbst im Schauerlichen setzte BOWIE nachhaltige Akzente. Wesentlich stärker prägten aber die enigmatischen Filmrollen, wie in Nicolas Roegs maßgeschneidertem „The Man Who Felt To Earth“, als standhafter englischer Offizier der Gegenspieler des musikalischen Bruders im Geiste, Ryuichi Sakamoto, in Nagisa Oshimas „Furyo – Merry Christmas, Mr. Lawrence“ oder in Jim Hensons wunderbarer, dunkler Phantasie „Labyrinth“. Und er machte sich nicht nur als Schauspieler um den Film verdient, seine Soundtrack-Beiträge haben diverse (heimliche) Highlights zu bieten.

Wie das düster hypnotische „I’m Deranged“ aus David Lynchs (für den er bei „Twin Peaks: Fire Walks With Me“ vor der Kamera stand) düster hypnotischem „Lost Highway“ oder der Song, der die Menschheitsgeschichte auf einen Punkt bringt, (We’re) „Absolute Beginners“ aus dem gleichnamigen Julien Temple Film. Genauso groß „This Is Not America“ mit Pat Metheny und besonders “Cat People (Putting Out Fire)”, die Kollaboration mit Giorgio Moroder für Paul Schraders „Katzenmenschen“-Remake, eindrücklicher noch auf dem Soundtrack-Album als auf dem eigenen “Let’s Dance”.

Nicht nur dieser Song zeigt, dass BOWIE ein formidabler Teamplayer sein konnte (vielleicht deshalb die Band-Sehnsucht). Er produzierte Lou Reeds legendäres „Transformer“, seine Verbindung zu Iggy Pop war ein produktiver Exzess, “Under Pressure“ mit Freddie Mercury und QUEEN ein Meilenstein der neueren Popgeschichte. Nicht zu vergessen Tina Turner, Mick Jagger, Bing Crosby („Peace On Earth/Little Drummer Boy“ – SO muss Weihnachten sein), die PET SHOP BOYS, die großartigen KASHMIR, Scarlett Johansson(!!) und natürlich der „Reflector“ von ARCADE FIRE: „If this is heaven, I need something more!“.

Meine erste Begegnung mit Bowie ähnelt vielen anderen: “Space Oddity” gehört, fallen in Love with Major Tom, das Album geholt. Noch relativ unspektakulärer Psych-Folk mit Überhit. Plus dem exzellenten Befreiungsschlag „The Wild Eye Boy from Freecloud“, dem exzessiven „Memory Of A Free Festival“ und der ersten Selbsteinschätzung: „God Knows I’m Good“. Wohl wahr.

Die nächste, bleibende und kennzeichnende kam wenig später: „Changes“ auf „Hunky Dory“. „Every time I thought I'd got it made, It seemed the taste was not so sweet. So I turned myself to face me, But I've never caught a glimpse of, How the others must see the faker, I'm much too fast to take that test: Ch-ch-ch-ch-changes.” Da war er, der Spieler, der sarkastisch Selbsteinschätzung betrieb und vermutlich genau wusste, dass er ein Großer werden würde. Als Ziggy Stardust, im Gepäck die Spiders from Mars, gelang BOWIE der Durchbruch. Und doch blieb Ziggy nur eine weitere Station. Es folgten der Soul-Funk-geprägte Thin White Duke, der mit Elektronik experimentierende Berlin-Fan, dessen wagemutige Alben „Low“ und „Heroes“ (samt dem hervorragenden Live-Mitschnitt aus jener Zeit „Stage“) musikalische Höhepunkte seiner Karriere waren und mit „Heroes“ eine vielgecoverte Hymne für Generationen im Gepäck hatten. Das weltmusikalisch (die Afrika-Phase der TALKING HEADS vorwegnehmend) angehauchte „Lodger“ entstand bereits in der Schweiz und in New York, markierte das Ende der Zusammenarbeit von BOWIE und BRIAN ENO, weshalb es als Abschluss von BOWIEs Berlin-Phase gilt.

Mit „Scary Monsters“ reiste Major Tom angeschlagen, als Ex-Junkie, aber noch am Leben, in die 80er. Das Album vereint noch einmal die früheren Trademarks, mixt Soul, Funk mit artifiziellem Rock, war durchaus erfolgreich, was aber von „Let’s Dance“ locker getoppt wurde. BOWIE, produziert von Nile Rodgers, went Eighties-Disco und lieferte mit dem Titelsong den größten Hit seiner Karriere, das gesamte Album war ein phänomenaler Kassenschlager. Danach kamen die beiden blassesten Alben seiner Karriere, in der Folge das nicht besonders geglückte TIN MACHINE-Bandprojekt, 1993 schließlich mit „Black Tie White Noise“ die linde Rückkehr in die eigene Vergangenheit und etwas Aufbruchsstimmung, die sich zwei Jahre später im experimentellen und zerfahrenen „Outside“ entlud. 1997 erschien mit „Earthling“ ein interessanter, aber nicht wirklich gelungener Versuch in Industrial und Drum’n’Bass. Wesentlich erfolgreicher betätigte sich BOWIE als merkantiler Verwalter seiner selbst. Er gab Anleihen aus, die er mit dem zukünftigen Salär aus 300 Songs absicherte. Das spülte ihm schlappe 55 Millionen Dollar in die Portokasse.

Musikalisch ging es mit „Hours…“, „Heathen“, „Reality“ und dem 2013er Werk „The Next Day“ (mit einer anonymisierenden Variante des „Heroes“-Plattencovers) wieder aufwärts. Allesamt ordentliche bis sehr gute Alben, für andere Musiker wären es vermutlich Highlights gewesen, für DAVID BOWIE gehobener Durchschnitt.

Dann das fabelhafte Werk, das eine neue Ära hätte einläuten können, aber das unerwartete Finale darstellt. „Blackstar“. So sperrig wie einnehmend, eine düstere Phantsmagorie, dunkelster Pop, schleichender Rock, mit mehr als einer Prise Jazz und viel von dem gnadenlosen Experimentiergeist SCOTT WALKERs, allerdings mit schmelzender dahinfließenden Gänsehautsongs.

Der Titelsong zum Einstieg ist bereits düster, kryptisch, wehmütig, macht die Einsamkeit fühlbar, das Erleben des Vorabends einer Exekution. Ein sanftes auf- und abschwellen der Grundmelodie, gerahmt von DAVID BOWIEs Klagegesang, unterbrochen von Störgeräuschen, zerfetzten Flöten- und Saxophonsounds. Das folgende „'Tis a Pity She Was a Whore“ ist spröder, funkiger, durchzogen von finsterem Humor, trotzdem das versöhnlichste Stück des Albums.

Dann „Lazarus“, dessen erste Strophe eigentlich keinen Zweifel lässt – gerade in Verbindung mit dem morbiden, verzweifelten Video -, hier beschreibt BOWIE sich selbst, seine Krankheit, das Sterben, den kommenden Tod. „Look Up Here, I’m In Heaven, I’ve Got Scars That Can’t Be Seen, I’ve Got Drama, Can’t Be Stolen, Everybody Knows Me Now.” Die Musik dazu ist ein dunkler Fluss, in dem in einsames Saxophon schwimmt. So könnten zwingende ROXY MUSIC klingen, natürlich mit ENO an Bord, mit einem Lied über vergebliche Liebe. Zum dahinschwinden schön.

„Sue (Or in a Season of Crime)“ und „Girl Loves Me“ sind wieder rhythmisch vertrackter, kruder, ohne ihren intimen, betörenden Charakter zu verlieren. „Dollar Days“ könnte die wütende Fortsetzung von „Lazarus“ sein; Geld, Liebe, Macht, Tod bekommen starke, jazzige Saxophon-Phrasen spendiert. Die auch der Schlusstrack „I Can't Give Everything Away“ besitzt, in den „Dollar Days“ nahtlos übergeht. Ein weiteres, inniges Liebeslied, in dem BOWIE sich einmal mehr als Meister der Masken und Schwarzer Humorist beweist. „And Fool Them All Again And Again/I’m Trying To, It’s All Gone Wrong But On And On/The Bitter Nerve Ends Never End, I’m Falling Down, Don’t Believe For Just One Second I’m Forgetting You, I’m Trying To/I’m Dying To.” Repeat-Taste.

Jemand stellt die Frage: “Ist das noch Pop? Und wenn nicht, was ist es dann?“ Es ist Pop, weil es Menschen anrührt, weil es Leid und Liebe, Leben und Tod mit funkelnder, betörender Musik verbindet. Es ist kein Pop, weil es viel zu düster, sperrig, experimentell, jazzig auftritt. Finalement ist „Blackstar“ DAVID BOWIE.

FAZIT: „Blackstar“ ist das letzte, große Statement des Meisters der Selbstinszenierung und des stetigen Wandels. Veröffentlicht mit einem erschreckend konsequenten Timing, dass nur Staunen, Bewunderung und ein fies fräsender Schmerz bleiben, ob dieses perfekt gestylten Abgangs.

Unabhängig davon überzeugte „Blackstar“ ohne Abstriche während der beiden Tage, in denen alles in Ordnung schien und DAVID BOWIE, der seine Krebserkrankung nie öffentlich gemacht hatte, einen weiteren Volltreffer verbuchen konnte, den es reichhaltig auszukosten galt.
Vieles schien möglich. Bis zu jener Nachricht, die erst auf Unglauben, dann auf Entsetzen und tiefe Trauer stieß. Und Zuversicht, denn wir wissen genau, DAVID BOWIE mag das Gebäude verlassen haben, doch Major Tom ist weiterhin da draußen unterwegs:

„This is Major Tom to Ground Control
I'm stepping through the door
And I'm floating in a most peculiar way
And the stars look very different today”

Bereits drei Tage nach der Todesnachricht kursieren Meldungen, dass von den “Blackstar”-Sessions genügend Material übrig sei für mindestens ein postumes Album. Entweder kreisen die Geschäftemacher bereits geiermäßig über dem Erbe oder der Creator DAVID BOWIE hat einen Masterplan, den er bereits weiterverfolgt.

Wie auch immer, „Made in Heaven“ hat nie an „Innuendos“ Größe gekratzt.

Punkte: 15/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 14.01.2016

Tracklist

  1. Blackstar
  2. 'Tis a Pity She Was a Whore
  3. Lazarus
  4. Sue (Or in a Season of Crime)
  5. Girl Loves Me
  6. Dollar Days
  7. I Can't Give Everything Away

Besetzung

  • Bass

    Tim Lefebvre

  • Gesang

    David Bowie, Erin Tonkon

  • Gitarre

    Ben Monder, David Bowie

  • Keys

    Jason Lindner

  • Schlagzeug

    Mark Guiliana, James Murphy

  • Sonstiges

    David Bowie (string arr.), Donny McCaslin (flute, saxophone, woodwinds), Tony Visconti (production, strings, engineering)

Sonstiges

  • Label

    RCA

  • Spieldauer

    41:19

  • Erscheinungsdatum

    08.01.2016

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