Tote leben länger. Vor allem dann, wenn es Gitarren sind, welche eine verdammt lebendige, aber irgendwie doch etwas besinnlich wirkende Musik machen. DEAD GUITARS, ein Bandname, der das Gegenteil von dem ist, was man auf „Shelter“ zu hören bekommt. Gitarren - akustische wie elektrische - spielen nämlich eine große Rolle, ganz genauso wie der hervorragende, sehr variable Gesang oder sogar Trompeten und Posaunen, die einem allerdings nie den Marsch blasen, dafür aber recht zärtlich die Gehörgänge durchpusten. Bei dieser Band aus Deutschland samt begnadetem holländischen Sänger müssen sich gängige Brit-Pop-Bands verdammt warm anziehen, denn die DEAD GUITARS klingen britischer und melodischer und gefühlsechter als vieles von dem, was heutzutage aus britischen Gefilden zu uns rüberschwappt. Und wer das neue Album der TINDERSTICKS samt Esel-Cover mag, der müsste die Musik hinter dem Leuchtturm-Cover ebenso lieben, weil sie dem TINDERSTICKS-Schwermut mit „Shelter“ ein paar lichtere, optimistischere, nicht ganz so in Melancholie versinkende Momente hinzufügt und sich außerdem auch sehr gut zwischen BOWIE, FOOL‘S GARDEN, den BEATLES, NITS und CROWDED HOUSE machen würde.
Überhaupt steckt eine recht bewegte Geschichte hinter den DEAD GUITARS, deren Musik-Rumpf aus den ehemaligen 12 DRUMMERS DRUMMING-Musikern Brough und Aussem besteht. Einer Band, die 1983 gegründet zwar richtig gute Musik - irgendwo zwischen den SIMPLE MINDS und U2 - machte, denen aber der wirkliche Erfolg nicht beschert wurde. Und während ich diese Kritik schreibe, läuft (endlich mal wieder) von den 12DD „Loveless“ in meinem Player und fühlt sich verdammt wohl dort.
Warum nur hatte ich dieses Album so lange unbeachtet in meinem Regal stehen lassen?
Die DEAD GUITARS jedenfalls haben auch viel von den 12DD - doch diesmal zusätzlich noch einen Sänger, der alle Grenzen sprengt und mit zu den besten Sangesgrößen gehört, die mir so in letzter Zeit untergekommen sind.
So glaubt man beispielsweise bei dem poppig beginnenden „Heaven Seven“, ein Song, der eigentlich jede Radiostation mit gehobenem Musikgeschmack sowie neugierigen Musikredakteuren glücklich machen müsste, tatsächlich, es mit einem Song von DAVID BOWIE aus dessen Pop-Phasen, als ihm das „China Girl“, der „Heaven“ (ohne Seven) sowie ein „Rock‘N‘Roll Suicide“ besonders wichtig waren, zu tun zu haben. Eine wahrhaft großartige Erinnerung an den leider vor kurzem verstorbenen Rock-Heroen.
„Half Light / Hang Out In Heaven“ dagegen erinnern mit ihrer musikalischen Orientierung aus Pop und Psychedelic an die „Sgt.-Pepper“-Ära der BEATLES und des NEIL HANNON-ähnlichen Gesangs wegen noch stärker an THE DIVINE COMEDY.
Sänger CARLO VAN PUTTEN hat‘s schlicht und ergreifend drauf, was er am überzeugendsten mit „I Surrender“ - einem Song voller zarter, schwebender Keyboardflächen und zuckersüßen, aber nie schmalzigen Melodien - beweist. Hier nämlich klingt er DAVID BOWIE sogar gänzlich zum Verwechseln ähnlich! Mitunter erzeugt das beim Hören eine regelrechte Gänsehaut, besonders bei denjenigen, die über den Verlust unseres genialen Musik-Chamäleons noch nicht hinweg gekommen sind. Die DEAD GUITARS jedenfalls kommen mit „Shelter“ genau zum rechten Zeitpunkt, um diese Trauer ein wenig zu kanalisieren, sie ein wenig in Hoffnung zu verwandeln, indem unser musikalisches Bewusstsein uns zuflüstert: „Da gibt‘s doch eine noch immer sehr lebendige Stimme, die ...“
Die DEAD GUITARS erheben für sich den Anspruch, mit ihrer Musik ihren eigenen Traum zu leben, da sie völlig unabhängig agieren, weil niemand in der Band mit Musik sein Geld verdienen muss. Vielleicht ist ja genau das der Grund dafür, warum „Shelter“ so traumhaft gelungen ist! „Shelter for your dreams and they will come true!“, denkt sich der Kritiker, während die erste gesungene Zeile von „I Surrender“ seine Gedanken eindrucksvoll bestätigt: „Let me wander in your dreams“.
Ich jedenfalls wandere mit meinen Ohren nur zu gerne mit!
FAZIT: Eigentlich müsste es mit dem Teufel zugehen, wenn nicht irgendwer irgendwann „Shelter“ als ein ganz besonderes Stückchen deutscher Musik-Kultur entdeckt, welches sich mit seiner britischen Ausstrahlung deutlich über alles erhebt, was uns momentan lieblos zusammengeschusterte Radio-Programme als hip verkaufen wollen. Auch die DEAD GUITARS lieben den Mainstream, aber den, der voranfließt statt vor sich hindümpelt!
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 04.02.2016
Kurt Schmidt
Carlo van Putten
Ral Aussem, Pete Brough
Hermann Eugster
Joachim Broekers (Trompeten, Flügelhorn), Joe Wetzels (Trompeten, Flügelhorn), Manni Schmelzer (Posaune), Crystin Fawn, Lilli Riettiens (Background Vocals)
Sireena Records / Broken Silence Distribution
57:42
20.11.2015