„Live In Long Beach 1976“ ist nach „Paris 1975“ und „Graz 1975“ ein weiteres Live-Dokument in der „Official DEEP PURPLE (Overseas) Live Series“ (identisch mit der gleichnamigen Ausgabe von 2009, die bei Purple Records erschienen ist). Doch unterscheidet das Doppelalbum sich wesentlich von seinen Vorgängern aus dem Jahr zuvor. Denn es ist ein rares Zeugnis bildet es nämlich einen Auftritt der vierten DEEP PURPLE-Manifestation ab (plus drei Bonustracks von einem Konzert in Springfield). Richie Blackmore war weg (nicht gerade im Frieden) und sein Platz wurde eingenommen von Tommy Bolin, einem amerikanischen Gitarristen, der zuvor bei der JAMES GANG und als Sideman von Billy Cobham, Alphonse Mouzon und anderen gespielt hatte. Viele Fans waren not amused, ein Musiker aus IOWA als Mitglied der britischen Rock-Institution DEEP PURPLE, dazu noch einer, den man eher bei Funk und Fusion verortete. Das Bolin ein äußerst fähiger Musiker war, wurde ihm gern zugestanden, besonders postum, nach seinem frühen Tod im Dezember 1976.
Woraus man ermessen kann, dass DEEP PURPLE Mark IV keine lange Lebenszeit beschieden war. Die Spanne umfasst ein gutes Jahr (Frühling 1975 bis Mai 1976), zweiundfünfzig Auftritte und mit „Come Taste The Band“, ein zwiespältig aufgenommenes Studioalbum, das erst peu a peu eine gewisse (Kult-)Anerkennung ergatterte. Zum ausführlichen Kennenlernen blieb allerdings genug Gewöhnungszeit, denn das nächste Album „Perfect Stranger“ erschien erst 1984.
Gab es 1975 mit „Made In Europe“ eine offizielle Live-Veröffentlichung, plus diverse Bootlegs, blieb die Bolin-Ära auch vermarktungstechnisch eine Randnotiz. „Live In Long Beach 1976“ korrigiert dies punktuell. Mit Wucht. Denn, oh Wunder, Tommy Bolin sorgt tatsächlich für Frischluft im hart rockenden Spacetruck. Das Konzert in Long Beach wirkt ein wenig glatter als die Auftritte im Jahr zuvor, dafür auch ausgefeilter und schärfer. Der Klang des Tonträgers passt dazu, ist für eine derart betagte Konserve beeindruckend klar. Die Klassiker werden mit hohem Tempo und präzise gespielt, David Coverdale ist gut drauf, und Tommy Bolin ergänzt den DEEP PURPLE-Sound um eigene Nuancen. Sprich, er gibt der Musik einen funkigen Drive, ohne die alten Trademarks auszulöschen.
Glänzen darf er auch beim eigenen „Homeward Strut“ (vom Solo-Album „Teaser“) und dem langen „Guitar Solo“ auf der zweiten Disk. Die vier („Owed To G“ ergänzt „This Time Around“), teils ausführlich gespielten, Stücke von „Come Taste The Band“ belegen eindrücklich, dass es sich um ein unterschätztes Album handeln könnte.
Sehr schön besonders „Love Child“ bei dem Jon Lord an den Synthies wie ein energischer Manfred Mann klingt. Feine Sache dies.
FAZIT: „Live in Long Beach 1976“ ist mehr als eine Kuriosität, mehr als eine Ergänzung für Hardcore-Fans. Der konservierte Auftritt zeigt, dass aus DEP PURPLE Mark IV etwas ganz großes hätte werden können. Wären menschliche Unpässlichkeiten und Tommy Bolins Tod im Alter von 25 Jahren nicht dagegen gewesen. Ein sehr gut klingendes Live-Dokument, welches man ohne Reue genießen kann, das den vertrauten DEEP PURPLE-Sound um feine Facetten erweitert und gerade im solistischen Bereich glänzt. Das auch im Vergleich zu „Made In Japan“, dem Klassenprimus, gar nicht schlecht abschneidet.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 15.05.2016
Glenn Hughes
David Coverdale, Glenn Hughes
Tommy Bolin
Jon Lord
Ian Paice
earMusic/Edel
CD1: 64:20/CD2: 60:36
29.04.2016