Liest man die Zeilen zur saarländischen Band EVERYDAY CIRCUS unter deren Homepage genauer, entdeckt man schnell den Grund dafür, warum sich das Indie-Rock-Quartett aus Merzig diesen Bandnamen verpasste:
„Fast jeden Tag geht es in den Proberaum und das, was man aneinander so schätzt, wird gleichzeitig auch die größte Herausforderung: Jeder weiß ganz genau, was er will. Aber was wollen ‚wir‘?“
Ja, dieser tägliche Zirkus im Proberaum, wenn vier Musiker mit ihren unterschiedlichen Ideen aufeinandertreffen, kann schon ziemlich anstrengend sein. Genauso wie ein Kunststück, das man im Zirkus einstudiert, auch wenn jeder Beteiligte ein anderes möchte. Ein Hochseil-Akt? Eine Tierdressur? Eine Jonglier-Nummer? Oder doch besser ein Auftritt der Clowns?
Am Ende ist dann wohl von allem etwas dabei. Alles unterhält. Aber es ist nicht wirklich alles begeisternd, weil es nichts wirklich Besonderes ist. Gleiches gilt auch für „Mirrors“, ein Album, das wie ein in Musik gegossener Kompromiss aus Songs klingt, die mal ruhig oder metallisch, mal rockig oder auch poppig sind und sich gerne zwischen MUSE, FURY IN THE SLAUGHTERHOUSE und NIRVANA - allerdings ohne je an deren Klasse heranzukommen - tummeln.
Manchmal wünscht man sich sogar beim Hören von „Mirrors“, dass die Musik eine ähnliche Ausstrahlung entfaltet wie das ansprechende 16seitige Booklet mit den geheimnisvollen Bildern, die sich zwischen wunderschön und bedrohlich bewegen. Doch schon beim Lesen der Texte, die von den Bildern untermalt sind, tritt in gewisser Weise Ernüchterung ein. Das ist Allerweltslyrik mit alt bekannten Botschaften zwischen Liebe und Verlust, Freundschaft und Vereinsamung, Mut und Feigheit. Schiebt man die CD in seinen Player, macht sich auch für diejenigen, die‘s mal etwas länger oder komplexer mögen, die nächste Enttäuschung breit. Alle Songs haben eine Radioformat taugliche Länge von drei bis vier Minuten und sind, wenn sie dann erklingen, auch nur kurzweilige Trips auf der Suche nach Härte und Melodie und einer Hookline, die sich fast nirgends blicken lässt, wenn man vom ruhigen, melodiösen Anfang bei „I Am Your Anchor“ absieht, der dann auf unangenehme Weise unpassend in 0-8-15-Manier „verrockt“ wird. Hier liegt auch das Dilemma der vier ambitionierten jungen Musiker. Man hört, dass alle gerne als Band Musik machen wollen, ihre individuelle Ausrichtung aber ist zu unterschiedlich, sodass „Mirrors“ an viele musikalische Türen anklopft, ohne aber je darauf zu warten, dass diese auch geöffnet werden, weil man schon wieder auf dem Weg zur nächsten Tür ist.
Doch dann versteckt sich tatsächlich mit „Bloom“ ein außergewöhnlich atmosphärischer, fast ein wenig an SIGUR RÓS erinnernder Song, den man beim Hören sofort ins Herz schließt - eben weil er die Atmosphäre hat, die den anderen, vorangegangenen Songs fehlt. Und „Moving Along“, das Schluss-Stück schließt trotz gewissem Pop-Appeal im U2-Gewand, das dann aber an Fahrt zu- und ein postrockiges Tempo aufnimmt, sogar ein wenig an diese Ausstrahlung an. Hier sollten EVERYDAY CIRCUS weiterhin ansetzen und sich nicht zu oft im Proberaum zoffen, auf der Suche nach einem Kompromiss. Der ist nämlich höchstens in der Politik von Nutzen, nicht aber in der Leidenschaftlichkeit guter Musik.
FAZIT: „Zeitlos klingen, ohne in Nostalgie zu ertrinken“ - das haben sich EVERYDAY CIRCUS auf „Mirrors“ vorgenommen. Es stimmt schon, dass sie nicht in Nostalgie ertrinken, aber ob dieser Indie- und Alternative-Rock zeitlos ist, wir die Zeit zeigen. Und ich glaube die Antwort darauf bereits zu kennen, auch wenn sie EVERYDAY CIRCUS nicht gerade schmecken wird.
Punkte: 7/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 16.01.2016
Eren Selcuk
Matteo Schwanengel, Marc Weber
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Simon Müller
Pop Guerilla / Roba Digital
46:42
15.01.2016