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HÜSCH!: Jetzt, heut und hier

Stil: Folk und deutsch-moderne Volksmusik

Cover: HÜSCH!: Jetzt, heut und hier

Eigentlich ist es eine Schmach, dass bisher kaum jemand diese Thüringer Folk-Band wirklich bewusst wahr genommen hat und sie mit öffentlicher Aufmerksamkeit überschüttet wird. Dabei hätte das doch bereits seit 2014 der Fall sein müssen, als ihr Album-Debüt „Bann dr Morche grauit“ vom Fachmagazin „Folker“ zur besten Folk-Rock-Scheibe des Jahres gekürt wurde.
Und wer HÜSCH! zweites Album hört, dem wird ruckzuck klar, warum HÜSCH! diese Ehre widerfuhr. Denn das Thüringer Quartett fegt alle schrecklichen Klischees, welche sich um das Wort „Volksmusik“ ranken, mit einem Paukenschlag - oder besser mit 3 Waldzithern (!!!), Flöte, Banjo, Klavier, Mundharmonika, Akkordeon, Maultrommel, Cajon, Violine, Gitarre sowie mehrstimmigem männlichen und weiblichen Gesang - davon und verbannt alles bräunlich Müffelnde, HEINOeske, Deutschtümelnde, Rentneraffine und TV-Samstagabendverblödende in den Musikkeller volkstümlicher Peinlichkeiten, in denen ein Stefan Mross hold-dummer Hertel-Dirndlmentalität und allen älteren, gut betuchten, aber schlecht beohrschneckten Damen einen blasen kann.

Die „Volksmusik“ von HÜSCH! klingt genauso, wie es die „Frankenpost“ bereits feststellte: „... voll atemberaubender Frische und Intensität, die in zupackender Weise mit großem Ausdruck gesungen wird“. Und auch ihr zweites Album „Jetzt, heut und hier“ ist garantiert wieder erster Anwärter für die beste Folk-Scheibe des Jahres!

Obwohl das Bild auf dem Digi-Pack ein wenig enttäuscht, ist der Inhalt dahinter doch deutlich mehr beeindruckend: die CD mit über einer Stunde richtig guter, deutscher Folk-Volks-Musik und ein 16-seitiges, sehr informatives Booklet, auf dem in deutscher und englischer Sprache die Hintergründe zu jedem einzelnen Lied zu lesen sind. Schon vor dem Einschieben der CD in den Player hat man als allseitig interessierter Musikfreund so seine echte Freude an dem, was einen dann musikalisch erwartet.

Ein besonders spannender Bestandteil der Musik sind natürlich die drei Waldzithern, welches ein typisches Zupfinstrument (aus der Familie der Cistern) aus Thüringen ist, das ein wenig an die irische Bouzouki oder ein Banjo erinnert - also eine Zither in kleiner Gitarrenform! Gut, so ähnlich erscheint es jedenfalls dem Kritiker-Laien dieser Zeilen ;-) Jedenfalls soll angeblich sogar Martin Luther sehr gerne dieses Instrument gespielt haben. Wahrscheinlich immer dann, wenn er eine Kunstpause während des Schreibens an seinen Thesen oder der Übersetzung des Alten Testaments zum Neuen machte. Besonders schön ist dabei auch ein Bild im Booklet zum Lied „Die Gedanken sind frei“ - Eine echt revolutionäre Volkslied-Hymne! - auf dem man ein historisches Bild mit sechs Waldzither-Musikern bewundern kann.

Musikalisch nehmen sich HÜSCH! die alten Volkswaisen vor, die von so namhaften Dichtern wie Goethe, Eichendorff, von Fallersleben oder Gutknecht stammen, aber auch bis in das Mittelalter reichende Traditionals aus dem Umfeld von Thüringen, wobei mit „Minnich willst de dansen“ sogar ein Lied in Vogtländischer Mundart enthalten ist, das sogar einige mutige gesellschaftskritische Züge aufweist. Mit „Kein Feuer, keine Kohle“ gibt‘s dann außerdem auch ein Liebeslied aus dem frühen 19. Jahrhundert zu hören, das selbst HERBERT GRÖNEMEYER auf seinem Album „Bleibt alles anders“ in seinem Song „Fanatisch“ zitiert.

HÜSCH! beherrschen die hohe Musikkunst, alte, etwas verstaubte Volksmusik zu entstauben, ihnen etwas flottere Melodien hinzuzufügen und sie mit ihren faszinierenden Eigeninterpretationen in die Gegenwart zu transportieren, ohne dabei der Vergangenheit ihren Reiz zu stehlen. So wird zugleich der musikalische Beweis erbracht, dass diese Lieder zeitlos sind, es leider nur noch immer viel zu viele Musik-Volkstümler gibt, die uns diesen Reiz in der Schule oder in antiquierten Samstag-Abend-Volksmusik-Hitparaden, wofür man sich auch noch an unseren Rundfunkgebühren bedient, stehlen und zur Qual werden lassen.

Am Ende bleibt so nur ein einziges FAZIT: Volksmusik kann modern sein! Das ist die Botschaft hinter der Musik von HÜSCH!, die sich von alten Zöpfen und verstaubten Musik-Perücken trennen, um der anfänglichen Natürlichkeit dieser schönen Musik einen neuen, modernen Musik-Haarschnitt zu verpassen!

Erschienen auf www.musikreviews.de am 22.05.2016

Tracklist

  1. Der wandernde Musikant
  2. Maienzeit
  3. Minnich willst de dansen
  4. Es ist ein Schnee gefallen
  5. Thüringer Land
  6. Kein Feuer, keine Kohle
  7. Der Rattenfänger
  8. Jetzt, heut und hier
  9. Die Leineweber
  10. Schneegebirge
  11. Klage und Glück der Liebe / Rü‘s Abschied
  12. Ner lauder Wind
  13. Herbstlied / Alle gute Gabe
  14. Die Gedanken sind frei
  15. Wanderers Nachtlied / Ein Gleiches
  16. Bachs Menuett

Besetzung

  • Bass

    Peter Häseler

  • Gesang

    Hanna Flock, Nico Schneider, Tim Liebert, Joachim Rosenbrück

  • Gitarre

    Joachim Rosenbrück, Jens Kommnick, Nico Schneider

  • Keys

    Hanna Flock

  • Sonstiges

    Waldzither, Flöte, Maultrommel, Violine, Banjo, Diatonisches Akkordeon, Cajon + Alan Doherty (Irische Flöte)

Sonstiges

  • Label

    CPL-Music

  • Spieldauer

    65:48

  • Erscheinungsdatum

    20.05.2016

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