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Hans Sølo: Head In The Air

Stil: Chamber Folk, der tief berührt

Cover: Hans Sølo: Head In The Air

„Wenn ich etwas zum roten Faden des Albums erklären müsste, dann wären es Träume, Wünsche, Illusionen oder deren Ende“, so schreibt es jedenfalls HANS SØLO in seinem Blog zu „Head In The Air“.
Und bereits nach dem ersten Hördurchgang möchte man Hans auf die Schulter klopfen und ihm ehrlich und offen sagen: „Bewahre dir deine Wünsche, Träume und Illusionen, aber denke ja nicht über deren Ende nach. Denn du hast ein richtig gutes, beeindruckendes Album mit ‚Head In The Air‘ hingelegt, das von seiner herrlichen Komplexität genauso lebt wie von einer gewissen visionären Naivität, welche deine Musik auch noch richtig sympathisch erscheinen lässt! Und außerdem tritt dem Typen, der dir empfohlen hat, Visionen zu haben und deswegen mit der Musik aufzuhören, gehörig in seinen breit gesessenen Biedermann-Arsch - der darf sich Visionslosigkeit gerne auf dem neuen Lindenberg-Album anhören, während er die Börsen-Statistiken studiert, aber garantiert nicht bei dir.“

Schon das beeindruckende, „kopflose“ Cover, das nur dadurch kopflos ist, weil der Kopf gerade im Himmel verweilt, Wölkchen zählt, der Sonne am nächsten ist, Vögel beim Flug beobachtet, Himmelsharfen hört und Gedanken ausbrütet, die dann zu Musik werden, zeigt das Geheimnisvoll-Schöne, das uns auf „Head In The Air“ erwartet.
Ein Album voller Streicher und Melodien, die viel von NICK DRAKE oder den BEATLES, aber auch DONOVAN haben - um in der Vergangenheit zu bleiben. Ein Blick in die Gegenwart aber zeigt sehr deutlich in Richtung GET WELL SOON und das ist momentan mit das Beste, was einem im deutschen Musikraum begegnet. Nun also darf sich der Füssener HANS SØLO direkt daneben stellen.

„Head In The Air“ ist ein ganz besonderes Album.
Gesungen in insgesamt drei Sprachen, wobei der eine deutsche Song „Nausjetz“ mit Allgäuer Dialekt daherkommt und ein wenig an „Junge“ von den ÄRZTEn erinnert, indem er mütterliche Ratschläge in viel Ironie verpackt. Dazu Geige und Cello, die zugleich eine gewisse Ernsthaftigkeit vermitteln, welche den Kühen im Sulztal, die ebenfalls zu hören sind, aber locker am Euter vorbeigeht.
Das französische Stück „Assise“, welches unmittelbar auf das deutsche folgt, verbreitet eine ganz andere Atmosphäre, in der französische Mentalität auf etwas Chanson und ganz viel Banjo, Glockenspiel und Synthie trifft, so als befreie sich ein französisches Lied aus seinem engen Korsett und begibt sich auf die Reise in die weite Welt Richtung Country-Americana, kehrt dann aber überraschend um und lässt sich von Kontrabass, Violoncello, Violine und Piano wieder in klassische Gefilde entführen.
Der mit gut sieben Minuten fast längste „Comforting Song“ beginnt als Ballade, driftet dann aber in immer stärkere psychedelische Gefilde ab, um mit einer Ukulele und Klarinette barjazzig ruhig zu seinem wundervollen Ende zu kommen.
Das Beste und Schönste aber erwartet uns gleich am Anfang, mit dem längsten Stück „Dionysos“ - eine Botschaft an den griechischen Gott des Weines, aber auch des Wahnsinns und der Ekstase: „You and I both know that I‘ve tried.“ Das lässt verdammt tief blicken und zeigt zugleich, mit welcher Intensität HANS SØLO an seine Musik geht. Ein Schlagrhythmus eröffnet „Dionysos“, dann setzt Hans‘ Stimme ein, als wäre sie aus einer anderen Welt - so warm, so zart - eine Violine schwebt herbei und alles geht in Satzgesänge über, als wollten sie dem Engelschor seinen Himmel streitig machen. Doch was ist das? Ein Instrument, welches man garantiert nicht in diesem Song erwartet: ein Banjo, so als hätten mal kurz die MUMFORD & SONS vorbeigeschaut. Eigentlich schreibt man so ein Lied nur einmal und dann nie wieder.
Doch bei HANS SØLO bin ich mir da nicht sicher. Und was passiert wohl, wenn Hans seinen Kopf aus dem Himmel wieder Richtung Erde senkt?

HANS SØLOs musikalischen Ideen sind unerschöpflich - eben ähnlich wie die eines KONSTANTIN GROPPER von GET WELL SOON - genauso wie seine Stimme variationsreich die ansonsten englischen Texte vorträgt. Der Mann hat nicht nur als Musiker und Komponist Charisma, sondern zum Glück auch als Sänger. Oft streichelt er den Hörer mit seinen Vocals genauso wie es die Streicher während jedem Song tun, während Banjo, Ukulele, Synthies, Glockenspiele, Blasinstrumente und vieles mehr aber verhindern, dass irgendwelcher schwülstiger Streicherquark oder Bombast am Ende dabei herauskommt. Und auch der Sound trägt einen gehörigen Anteil zum Wohlgefühl des Hörers bei, denn er liebt die Höhen, ohne die Bässe zu vernachlässigen, und lotet, ähnlich wie in den 60er- und 70er-Jahren, sehr analog wirkende Stereo-Effekte aus. Liest man dabei dann auch noch die Texte im 12seitigen Booklet, kann man sich mal ein Lächeln genauso wenig verkneifen wie ein nachdenkliches Stirnrunzeln.

Eins aber nehmen wir auch als FAZIT diesem HANS SØLO unbesehen ab, was er eindrücklich auf „Tour Diary“ formuliert: „I might fly or I might crash-land / But for the love of music, for the love of live / I have to try!“
Mit „Head In The Air“ ist ihm dieser Versuch geglückt und eins ist sicher: Dieses Album kann keine Bruchlandung hinlegen!

Punkte: 13/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 08.05.2016

Tracklist

  1. Dionysos
  2. Trust
  3. Nicholas
  4. /b/
  5. Nausjetz
  6. Assise
  7. Comforting Song
  8. Tour Diary
  9. Mr. Daydream
  10. Schöneweide
  11. The Lonely Surfer Of Desert Planet

Besetzung

  • Bass

    Hans Sølo

  • Gesang

    Hans Sølo, Katharina Gnendinger

  • Gitarre

    Hans Sølo, Magnus Bader

  • Keys

    Hans Sølo, Julia Gotthard

  • Schlagzeug

    Benni Butz, Stefano Pavanati, Anne Löffler, Ahmad Afuni

  • Sonstiges

    Anne Löfler, Almut Wolfart, Caroline Schlemmer (Violinen), Julia Gotthard, Rainer Jooschulz (Celli und Kontrabass), Hans Sølo (Ukulelen, Banjos, Glockenspiel, Programmierung, Melodika, Charango, Tambourine)

Sonstiges

  • Label

    Record Jet / Soulfood / The Finest Noise

  • Spieldauer

    53:03

  • Erscheinungsdatum

    06.05.2016

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