Niemand werfe HAUDEGEN in einen Topf mit der Post-ONKELZ-Klitsche um FREI.WILD. Das Duo steht 2016 inhaltlich eher in der Tradition von deutschen Liedermachern wie Frank Zander, der passenderweise gleich im Opener als Gast mitsingt, und würzen das ganze mit härteren Gitarren, aber im Grunde funktioniert dieser Kram auch im Musikantenstadl. Das muss nichts Schlimmes sein, doch wieso die Strippenzieher im Hintergrund das Projekt zwanghaft im Rock-Mainstream propagieren müssen, erscheint schwer nachvollziehbar.
"Altberliner Melodien" bietet als Quasi-Coveralbum natürlich viel authentische Berliner Schnauze und rein musikalisch betrachtet eine Menge Abwechslungsreichtum im gediegenen Namen, sei es in Form von Reggae-Momenten ('Bolle reiste jüngst zu Pfingsten') oder handelsüblichem Pop Punkt der Marke 'Die Hauptsache ist'. Im albernen 'Paula, mach die Bluse zu' vernimmt man amerikanischen Country, und das nachfolgende 'In deine Hände leg ich mein ganzes Glück' ist eine schmalzige Ballade, die fast nur ironisch gemeint sein kann.
In den unangenehmsten Momenten klingen HAUDEGEN wie Kölner Karnevalisten, aber das dürfte die eigentliche Zielgruppe nicht stören, denn die ist eben nicht bei den Weidner-Nacheiferern zu finden.
FAZIT: HAUDEGENs Marketingabteilung ist auf die Musikbranche bezogen das "Thema verfehlt" unter der Deutsch-Klassenarbeit. Kein Material der Band - auch dieses aktuelle Album nicht - ist in irgendeiner Weise für Rock-Hörer relevant. "Altberliner Melodien" eignet sich vielmehr für all jene, die Berliner Liedergeschichte in frisch aufbereiteter Form hören möchten, also im Grunde ein Nischenpublikum.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 22.11.2016
Sven Gillert, Hagen Stoll
Blut, Schweiß & Tränen / Tonpool
35:50
04.11.2016