Marco Philipp, 24, aus Ellwangen, steht hinter dem Namen HEART COMPASS. Und damit steht er auch ziemlich allein, denn abgesehen von einigen Gastmusikern, die Gesangsparts und Solos beigesteuert haben, hat er das Album im Alleingang eingespielt. Unter diesen Voraussetzungen ist das Resultat doch recht erstaunlich: Denn obwohl er alles allein macht, ist „keep it simple“ sicher nicht das Motto von „Thoughts And Fantasies“. Marco fabriziert etwas, das sich wohl als Progmetal (der sanfteren Sorte) klassifizieren lässt, sich aber nicht an eine bestimmte Richtung hält.
Allgemein scheint sich der Ansatz des Albums auf das Wechselspiel zwischen kraftvoll/aggressiv und hymnisch/fröhlich/erbaulich herunterbrechen zu lassen. Nun ist das aber erstens bei Leibe nichts neues und zweitens nur der theoretische Teil des Ganzen.
Deutlich sind immer wieder die großen Vorbilder zu hören, DREAM THEATER, IRON MAIDEN und, was den Gesang angeht, schweifen meine Gedanken immer wieder zu COREY TAYLOR.
Wie erwähnt ist das Album deutlich komplexer als „lass mal was mit Fruity Loops machen“ und möchte sichtlich ernstgenommen werden. Somit setzt es sich aber auch ernsthafter Kritik aus, woran die Tatsache nichts ändert, dass Marco 70% des Erlöses an eine Charity-Organisation spenden will.
Und diese Kritik muss leider schon bei den elementarsten Bausteinen anfangen: Ob IRON MAIDEN jetzt Vorbildfunktion hatten oder nicht, ein zweiter Bruce Dickinson hat sich hier sicher nicht hinter dem Mikro eingefunden. Sich seiner stimmlichen Grenzen bewusster zu sein, oder aber, wie z.B. im wirklich gelungenen „Mulan“, den Gesangsjob jemandem zu überlassen, der die ambitionierten Ideen des Herrn Philipp besser umsetzen kann, als derselbige, würde dem Album sehr zugute kommen.
Außerdem: Es scheint, als wären neben der Gitarre, mit der Marco u.a. in Youtube-Videos Metalversionen von bekannten Filmmelodien fabriziert, auch Bass und Schlagzeug echten Instrumenten entsprungen. Doch die vielen anderen Klangzutaten sind – zumindest meinem Empfinden nach – einem nicht gerade hochwertigen Synthesizer entstiegen und viel zu oft, gerade bei „Streichern“ und „Bläsern“, klingt das mehr nach Jahrmarkt als nach Philharmonie.
Auch textlich sucht man hier meist vergeblich nach Perlen oder zumindest etwas, das auf erkennbare Eigenständigkeit hindeutet: „Open your eyes, learn how to fly, fly to the edge of the world“ („Roots And Wings“) oder „Why can‘t we all start to respect each other?“ („Under The Same Sky“) mögen zwar vielleicht tief empfundene Einsichten über die Welt enthalten, solche tausendmal verwursteten Worthülsen sind künstlerisch jedoch in etwa so interessant wie ein Remix-Album von WOLFGANG PETRY.
Was ebenfalls sauer aufstößt, sind die, wohl im Bestreben, möglichst aggressiv und böse zu klingen, eingesetzten Spoken-Knurr-Passagen, wie beispielsweise in „Ego“: Man kommt nicht umhin hier an SLIPKNOTs „Duality“ zu denken, nur, dass das hier weniger nach canned rage, sondern eher nach recht unbeholfenem Posertum klingt. Weiter lässt sich dieser Vergleich auch nicht führen, denn anstatt Maggotscher Mitgröl-Refrains verlegt sich Marco auf oft sehr angestrengt wirkende Power-(Metal-)Refrains, die aber den wohl intendierten, großartigen, zum Arme-Schwenken einladenden Spannungsbogen bisweilen deutlich überspannen („Digital Hate“).
Von Hate zu Love: Abgesehen von zweifelhaften Vokalitäten bietet das Album einen reichen Fundus an höchst unterhaltsamen Instrumentalparts: Seltsame Synthesizer hin oder her, hier hat man immer wieder das erhebende und mitreißende Gefühl, dass sich ein kreativer Geist ungebremst austobt. Progressive Innovationen finden sich zwar auch in diesem Kontext nicht wirklich, aber an seinen verschiedenen Instrumenten scheint Marco befreiter von Ambitionen (es muss so episch/heavy/... sein wie-) ans Werk gegangen zu sein und der bloßen Spielfreude mehr Raum gewährt zu haben. Beispiel hierfür: „Pride Of The Grassland“ (Herr-der-Ringe-meets-fernöstliche-Klänge-Jam).
Als Treffer ins Schwarze kann man „Mulan“ bezeichnen: Mit Alina Lesnik am Mikrophon geht es - mit asiatischem Einschlag - eingängig und zugleich abwechslungsreich, kurz, höchst vergnüglich zu.
FAZIT: Das Album bietet einige gute und viele interessante Momente, die Produktion ist von Kellerloch-Black-Metal-Standards weit entfernt, Marco zeigt gerade unter dem Gesichtspunkt, dass das alles Ausgeburt allein seines Schädels ist, große Kreativität und Schaffenskraft. Doch leider muss man sagen, dass er noch keine eigene Linie gefunden hat und somit, dass das Album oft wie eine Spielwiese für Rumprobieren auf hohem Niveau erscheint. Was also fehlt: Ein eigenständiger Stil, eine, um es zu verschwulsten, künstlerische Vision, die den Songs Ziel und Richtung eingibt, mehr Bewusstsein der eigenen technischen Grenzen und stärkere Berücksichtigung des Weniger-ist-mehr-Prinzips. Ansonsten hat „Thoughts And Fantasies“ mindestens das Prädikat „unterhaltsam“ verdient.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 18.11.2016
Marco Philipp
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06.08.2016