2012 dachte James McCartney laut über eine BEATLES 2.0-Version nach. Er, gemeinsam mit Sean Ono-Lennon, Dhani Harrison und Jason Starkey (dessen Bruder Zak bei THE WHO und OASIS genug zu tun hat) in den Fußstapfen ihrer Väter. Eine Online-Umfrage des Guardian ergab, dass 83% der Teilnehmer für „Let It Be“ stimmten und nur 17% für „Come Together“. Das Projekt blieb glücklicherweise bloße Theorie. Ein kleiner praktischer Hauch davon findet sich allerdings auf „The Blackberry Train“, McCartneys zweitem Longplayer nach dem 2013er Werk „Me“ (davor gab es drei EPs und kleine Kollaborationen auf Alben von Vater und Mutter): Dhani Harrison spielt Gitarre beim Opener „Too Hard“. Wie es sich für den zurückhaltenden, freundlichen Sohn George Harrisons gebührt, eher unauffällig und songdienlich.
Über weite Strecken ist die Musik McCartneys erfreulich eigenständiig. Erst bei „Alice“ lassen sich vermehrt psychedelische BEATLES-Spuren finden und „Ring a Ring O' Roses“ würde als ein gefälliger Song auf einem der späten 90er-Alben Paul McCartneys nicht unangenehm auffallen. Überhaupt scheinen es die Neunziger McCartney Jr. unter der Produktionsägide Steve Albinis angetan zu haben.
Da finden sich (weichgespülte) Grunge-Nachwehen, und gefühlvoller Indie-Pop mit verschämten Blick auf die großen Stadien, feiert fröhliche Urstände. Heutzutage füllt man damit bestenfalls kleine Stadthallen. Übel ist diese aus der Zeit gefallene Melange nicht, die Balladen sind herzig (die eigentlich intensive und kunstvolle „Ballerina“ tanzt leider ein wenig zu lang), besitzen bisweilen einen leichten Blues-,Country- und Folk-Touch („Prayer“), werden nur partiell etwas zu süßlich.
Gesanglich bleibt James McCartney ein wenig blass. Das fällt aber nicht weiter ins Gewicht, seine angenehme, helle, leicht heisere Stimme passt gut zum gewählten Songmaterial. Obwohl Tasteninstrumente präsent sind und ein kleines Streichensemble Schützenhilfe leistet, ist das Album ziemlich gitarrenlastig geraten. McCartney vermeidet in jeder Hinsicht Exzesse, es wird zwar hin und wieder krachig, doch weit über deftigere Tom Petty-Stücke geht es kaum hinaus. Im Stillen bleibt er ebenso zurückhaltend, lediglich das bereits erwähnte „Ballerina“ geht opulenter zur Sache. Aber auch das passt.
FAZIT: „The Blackberry Train“ ist ein abwechslungsreiches Album, obwohl ihm die großen Höhepunkte fehlen. Es ist auf sympathische Weise altmodisch, lässt sich fein nebenbei hören und bei langweiligeren Stellen ohne Probleme ausblenden. Solide Hausmannskost. Vergleiche mit Verwandten sollte man nicht anstellen. James McCartney spielt recht eigenständig auf. Reicht zwar nicht für die große Popseligkeit, aber locker fürs Abendbrot.
Punkte: 9/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 18.05.2016
James McCartney, Stephen Howard
James McCartney
James McCartney, Dhani Harrison, Stephen Howard, Jeff Wootton
James McCartney
Jay Sharrock
Susan Voelz (string arrangements, violin), Nora Barton (cello), Inger Carle (violin), Vannia Phillips (viola)
Maybenot/Rough Trade
43:47
06.05.2016