Seit einigen Jahren pendelt JEFF WILLIAMS zwischen seiner ursprünglichen Wahlheimat New York und der Londoner Szene und hat sich inzwischen ein beachtliches Set an Musikerkollektiven zusammengestellt. Der bald 66-Jährige begann bei all seiner Erfahrung erst spät, regelmäßig als Leitfigur Alben zu veröffentlichen. „Outlier“ ist nun immerhin sein dritter Lead-Release binnen fünf Jahren und der erste davon in vollständig britischer Besetzung. Gitarrist Phil Robson, Saxophonist Josh Arcoleo und Bassist Sam Lasserson haben bereits in früheren Projekten mit Williams gespielt, neu hinzugekommen ist Kit Downes, der vor gut einem Jahr Finn Peters als Pianist ersetzte.
Williams setzt damit auch auf eine gesunde Mischung aus Erfahrung und forscher Improvisation. Das führt zu einem durchweg dynamischen Ergebnis in Form sieben neuer Kompositionen, die – auch das passt zur Ausrichtung – teilweise ganz neu geschrieben wurden, in einigen Fällen aber auch schon seit Karrierebeginn ruhen.
Auch wenn sich Stimmung und Tempi mehrfach verschieben, hat vorrangig ein Eindruck Bestand: Hier nimmt sich niemand gegenseitig die Brot vom Butter. Auch begünstigt durch die sehr transparente Postproduktion (die im Gegensatz zu den Aufnahmen wiederum nicht in London, sondern in New York stattfand) entsteht durchweg der Eindruck friedvoller Koexistenz, selbst wenn es, wie gegen Ende des Albums, mal etwas freejazziger und damit chaotischer zur Sache geht.
Dass man sich bei jedem Hördurchlauf recht mühelos auf ein anderes Instrument fokussieren kann, verleiht „Outlier“ natürlich auch Dauerbrennerqualitäten, zumal jedes Stück unterschiedliche Anforderungen an die Musiker stellt. Auf dem einleitenden Titelstück gibt Arcoleo beispielsweise noch ein betont schlichtes Leitmotiv vor, das von skeptischen Schwingungen seitens Piano und Kontrabass sowie den abwartenden Beckenschlägen Williams' in eine sonderbare Stimmung gerückt wird. Dass gleich mit dem folgenden „The Interloper“ THELONIOUS MONK von der Leine gelassen werden würde, kann man hier noch nicht zwangsläufig absehen.Williams selbst liefert den treffendsten Vergleich: Es imitiere die Wahrnehmung einer Person, die immer die letzte auf der Party ist und ihr Umfeld kaum mehr wahrnimmt. Tatsächlich klingt das Stück nach Geburtstagsparty-Fahrstuhljazz, der mit subtilen Mitteln (etwa krächzenden Saxophonausrutschern und stolpernden Taktverschiebungen) ins Surreale gezogen wird.
„Dream Visitor“ bringt Fusion ins Gefüge und lehnt sich offensichtlich an Miles Davis' Meilenstein „Bitches Brew“ und hier insbesondere an das Vorzeigestück „Spanish Key“ an mit der leicht paranoiden, stets getriebenen Fortbewegung. Auch wenn die groovigen Basslinien im letzten Drittel es wieder in eine andere Richtung schieben – der Revolutionscharakter der 70er Jahre, in denen „Dream Visitor“ ursprünglich modelliert wurde, bleibt erhalten.
Wie sehr Vergangenheit und Gegenwart beieinander liegen, zeigt auch das entschleunigende Doppel aus dem 20 Jahre alten „Meeting a Stranger“ und dem reduzierten, gedankenverlorenen „New and Old“, das als trauriger Tribut an Williams' vor zwei Jahren verstorbenen Vater beginnt und sich zum Ende hin doch noch zu etwas Positivem aufswingt. Weitere Ehrung erfährt der brasilianische Jazzmusiker HERMETO PASCOAL. Würde „Hermeto“ nicht schon im Titel den Bezug verraten, täten es die angedeuteten Bossa-Nova-Rhythmen, zu denen kraftvoll und freischwebend improvisiert wird. Und „Oddity“ darf dann nochmal das Tempo massiv erhöhen und völlig aus der Art schlagen. Ein verrücktes Ende für eine abwechslungsreiche Platte.
FAZIT: JEFF WILLIAMS ist nach „The Listener“ (2013) und „Another Time“(2011) immer noch im Flow; auch mit dem britischen Ensemble brennt da nichts an. Ihm gibt er die Möglichkeit zur freien Entfaltung, denn maßgeblich gibt er nur Rhythmik und Skizzen vor, die sich in augenscheinlich gleichberechtigter Manier zu geistreichen Kompositionen zusammensetzen. Deren größte Stärke auf volle Distanz stellt das harmonische Zusammenspiel aller Komponenten dar, egal wie jung oder alt, wie erfahren oder neugierig sie sind. Mag sich der Schlagzeuger auch immer ein wenig im Schatten der Jazz-Legenden verbergen und eher Bescheidenheit zelebrieren als zu Höhenflügen anzusetzen, so ist „The Outlier“ doch ein Dokument bemerkenswerter Vielseitigkeit.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 20.06.2016
Sam Lasserson
Phil Robson, Jeff Williams, Kit Downes
Kit Downes
Jeff Williams
Josh Arcoleo (Tenorsaxophon)
Whirlwind Recordings
53:22
03.06.2016