Heutzutage ist es selten, ein Album in die Hände zu bekommen, das einerseits nicht nur von der Musik her, sondern auch von den schwer emotionalen Texten eine Frontalangriff auf unsere Seele darstellt. Soul voller Tiefe und Texte mit fast philosophischen Botschaften ohne irgendwelche erhobene Zeigefinger-Lehrmeisterei sind die Zutaten von JEFF YOUNGs „Choose Your Own Unknown“.
So verführerisch es auch ist, in diesem Moment mal wieder darauf hinzuweisen, mit welch namhaften Bands bzw. Musikern der singende Keyboarder Young bereits zusammenspielte bzw. auf seine feste Mitgliedschaft bei STEELY DAN oder JACKSON BROWNE hinzuweisen, verkneife ich mir das hier mal. Außerdem wurde darüber schon in unseren beiden Reviews zu den vorangegangenen Young-Alben ausgiebig schwadroniert. Nur STEELY DAN und JACKSON BROWNE sind in dem Falle wichtig, weil sich „Choose Your Own Unknown“, das sechste Solo-Album von JEFF YOUNG, nahtlos zwischen diesen beiden Bands einreiht. Das Niveau von Musik und Texten ist gänzlich gleich – und das will natürlich etwas heißen! Auch der dem Album seinen Titel verleihende Song wäre ohne Weiteres auf einem STEELY DAN-Album eine echte Erfolgsnummer.
Schon der erste Song des Albums erzielt beim Hörer genau diese Wirkung, in der es um die wahre Schönheit einer Frau und wo man diese entdeckt, geht. Den Text dazu hat tatsächlich die große Schauspielerin AUDREY HEPBURN geschrieben und Young macht daraus ein Duett mit MELANIE NYEMA, welches die Aussage des vorherigen Zitats genau bestätigt. Ein Song, der bereits reicht, um dem Album zu verfallen. Vorausgesetzt man ist bereit dazu und schafft es heutzutage noch, auch die Welt um uns herum einfach mal ruhen und dafür die Musik sprechen zu lassen.
Bei JEFF YOUNG trifft Americana & West-Coast auf jede Menge Soul und etwas Rock, der erstmals auch ein paar ungewöhnliche Musik-Parallelen herstellt, die kurz anklingen und dann sofort wieder aufgehoben werden. Eine großartige Idee.
So beginnt beispielsweise „The Art Of Conservation“, ein riesiges Highlight des an Highlights reichen Albums, mit einem kurzen Orgel-Intro, das einige Ähnlichkeiten zu DEEP PURPLEs (!!!) orgelige Eröffnung von „Speed King“ aufweist. Und schon überzieht den ganzen Körper eine Gänsehaut. Dann greift sogar noch MICHAEL LANDAU zur Gitarre. Doch statt hart rockend fortzusetzen, gibt‘s von JEFF YOUNG eine traurige Ballade über die Entfremdung unserer eigenen Kommunikation, indem wir nur noch über Geräte, aber kaum noch unmittelbar miteinander reden. Solche und ähnliche Themen durchziehen das gesamte Album, welches wohl überlegt den Titel „Choose Your Own Unknown“ trägt. Wir entfremden uns immer mehr. Alle Oberflächlichkeit und schnell erworbenes Wissen mithilfe der modernen Medien führen zu einem Kollaps der eigenen Gefühlswelt. Und die passende Musik, natürlich größtenteils im ruhigen oder Midtempo-Bereich, liefert uns JEFF YOUNG auf seinem aktuellen Album.
Weitere „besondere Zutaten“ auf Youngs sechster CD sind die Gastmusiker, welche bereits bei so namhaften Bands oder Musikern wie JONI MITCHELL, MILES DAVIS, PHIL COLLINS, JAMES TAYLOR, GOV‘T MULE, DAVID BOWIE, ERIC CLAPTON und vielen mehr aktiv waren. Natürlich ist die Profession solcher Musiker auf „Choose Your Own Unknown“ unüberhörbar. Der Sound klingt dementsprechend so warm und intim wie auf richtig guten Jazz-Alben der 70er Jahre, bei denen viel Wert auf den perfekten Klang gelegt wurde. Digitale Technik ist das Eine, dieses Album aber etwas völlig Anderes. Man höre und staune.
Ein Zitat von Sandrine Siregar, das im Promo-Begleitzettel zu finden ist, spricht diesbezüglich eine deutliche Sprache, der ich mich nur anschließen kann: „Durch Musiker wie JEFF YOUNG erinnern wir uns wieder daran, zu genießen und die kleinen Dinge, die das Leben ausmachen, wieder richtig wertzuschätzen – einfach, ruhig und bewegend. Musik an. Welt aus.“
FAZIT: Ein Blick in das Gesicht auf dem Cover, in dem sich so viel Wärme, aber auch etwas Trauer und viel Neugier widerspiegelt, sagt viel über den gefühlvollen Soul und Blues aus, der sich hinter „Choose Your Own Unknown“ verbirgt. JEFF YOUNG gibt uns mit seiner Musik das zurück, was uns bei der ewigen Hatz nach Anerkennung abhanden kommt. Soul für unsere geschundene Seele.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 22.08.2016
Jon Evans, Tim Lefebvre, Jorgen Carlsson, Zev Katz, Skyler Young
Jeff Young, Melany Nyema, Danielle DeAndrea, Erica Canales, Kevin McCormick, Kat Dyson, Michelle Wolf
Mark Shulman, Toshi Yanagi, Kirk Fletcher, Michael Landau, Jon Herington, Greg Leisz
Jeff Young
Erik Eldenius, Mauricio Lewak, Aaron Comess, Luis Conte
Frank Mead (Blues Harmonika)
M2 Music / In-Akustik
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19.08.2016