„Romances“ war ja schon ein wuselndes Sammelsurium onomatopoetischen Gewimmers mit Akkordeon, Mundharmonika und noch wesentlich obskureren Instrumenten; manchmal verließen reale Worte Pattons Mund, meist jedoch malte seine Kopfstimme schlumpfenartige Wellenlinien, die einem Kreuzwesen aus Arielle der Meerjungfrau und Alice aus dem Wunderland als Lebensraum dienen könnten.
Aber die wohl eher zufällige als geplante Wiedervereinigung nach 12 Jahren ist kein großes Comeback, sondern eine nochmalige Reduktion dessen, was auf „Romances“ aufgenommen wurde. Kaada ist endgültig bei Filmscores angekommen und Pattons Mund kennt keine echten Worte mehr, sondern nur noch uUuUuuUUUU, oOOO-o-oooOOO und WahhhaaaaAa. Insofern ist klar, wer auf diesem Release die Zügel in der Hand hält, denn Patton tritt selbst in erster Linie als eine Art menschliches Instrument in Erscheinung.
Um dennoch in dessen Perspektive zu bleiben: Im ständigen Fluxus befindliche Arbeiten wie „Laborintus II“ mit dem ICTUS ENSEMBLE oder TĒTĒMA sind mit „Bacteria Cult“ also grundsätzlich artverwandter als vollwertige Platten wie die neue FAITH NO MORE oder das gerade erschienene NEVERMEN, gleichwohl der von Kaada ausgebreitete Score-Teppich diesmal ein sehr dichter ist. Melodisch und vollmundig lässt er die reine Avantgarde gezielter Provokation hinter sich und macht sich als potenzielle Untermalung für große Filmszenen vorstellig. Eines schmeißt er jedenfalls ohne Umschweife an: Kopfkino.
Am Anfang ist da ein Knetpopel, der reglos auf einer ebenen Fläche vor schwarzer Nacht im fahlen Mondlicht liegt. Von einem einzelnen Scheinwerfer wird er angestrahlt, und wie er da so im Licht liegt, umringt von nichts, drückt er absolute Einsamkeit aus. Wie im Trickfinale von „Tanz der Teufel“ wird sich diese formbare Masse nun dehnen, stülpen und verschieben, stets passend zu den wuchtigen Kompositionen des Norwegers, die sich in einem Movie-Grusical ebenso gut machen würden wie auf der Theaterbühne, deren Akustik in der Abmischung ein wenig imitiert wird. Als säße man mitten im Publikum und blicke unvermittelt auf die Knete, wie sie sich in Echtzeit mit den ungelenken Bewegungen Harryhausen’scher Stop-Motion-Technik in andere Gestalten und Gegenstände morpht. „Red Rainbow“ stellt dafür einen echten Ohrwurm zur Verfügung, der in jedem düsteren Kapitel eines Horrormärchens heimisch werden könnte. Es ist außerdem das kernige Main Theme des Albums.
„Black Albino“ behält die schleppende Percussion bei, reimt darauf aber Western-Trompetenfanfaren und offenbart, dass Patton wohl Einflüsse aus der Zusammenarbeit mit GUANO PADANO an Kaada weitergegeben hat, obwohl sein Partner auch nicht ganz unbedarft an die Western-Motivik herangegangen sein dürfte. Die zwischenzeitlich zum Werwolf mutierte Knete fällt wieder in sich zusammen, formt ein Lasso, dann einen Revolver und schießt mit lautem Knall eine Knetkugel ab, die in Form und Größe ihrem eigenen Ursprungszustand entspricht. Die Westernanleihen wird „Bacteria Cult“ ab hier nicht mehr los, sie ziehen sich als Leitfaden durch die gesamte halbe Stunde.
Dass Kaada selbst bereits Vergleiche zum FANTÔMAS-Werk „Director’s Cut“ zog, liegt wohl in erster Linie an den Filmbezügen und an dem Umstand, das jede Komposition als Einzelstück begriffen werden muss, das jeweils eine unterschiedliche Stimmung verströmt. Da ist auch etwas Wahres dran; nur „A Burnt Out Case“ hat beispielsweise diese Momente naiver Euphorie, als der Knetballen plötzlich artistische Luftsprünge macht wie Gene Kelly in „Singin’ In The Rain“. „Bacteria Cult“ allerdings lässt die Scharfkantigkeit von „Director’s Cut“ vermissen – es gibt keine Growl- und Speed-Metal-Eskapaden inmitten der Soundtrack-Harmonie. Keine absolute Stille im Kontrast dazu. Kein Stile-Hüpfball und keinen unmusikalischen Minimalismus. Und nicht zuletzt umfasst es nicht etwa eine ganze Filmpalette vom „Paten“ bis „Charade“, sondern spürbar ein einzelnes, namenloses Werk, das sich innerlich völlig kohärent zeigt.
FAZIT: Zwölf verstrichene Jahre und im Gegensatz dazu nur eine gute halbe Stunde neuer, nicht mehr unbedingt revolutionärer Experimentalmusik aus der Welt der Filmscores, die allerdings mit sehr viel Detailliebe umgesetzt ist. Muss man das Doppel KAADA / PATTON nach eineinhalb Dekaden als altersmild bezeichnen? Das kommt sicherlich auf die Perspektive an, mit der man ihr Zweitwerk in Augenschein nimmt. Die verhältnismäßig hohe Zugänglichkeit spricht dafür, doch doppelte Böden muss man bei zwei Namen wie diesen immer mit einkalkulieren. Ein richtiges „Album“ im Wortsinne ist das hier allerdings noch weniger als der Vorgänger von 2004.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 03.04.2016
Mike Patton
John Kaada (alles)
PIAS UK / Ipecac
32:21
01.04.2016