Wahrscheinlich werden einige, die bisher unter KAIPA immer rein progressiv orientierte Rockmusik aus Schweden verstanden, jetzt laut aufschreien oder aufstöhnen, dass völlig zurecht die beiden KAIPA-Alben aus den 80ern ihr Dasein im musikalischen Giftschrank fristeten. Und sicher kommen sie zugleich mit der Meinung um die Ecke, dass sie dort gefälligst auch drin zu bleiben hätten!
Wie aber sieht das ein toleranterer Musikhörer, der nicht von einer Band erwartet, konsequent die vorgefertigten Prog-Pfade weiter breit zu latschen, und dabei ja nicht vom Weg abzuweichen?
Schließlich ist so eine Band ja ein Art Rotkäppchen, welches doch wissen muss, dass es beim Verlassen seines progressiven Weges auf den bös-poppigen Wolf trifft! Oder?
Spätestens nach dem ersten Hördurchgang von „Händer“ darf sich jeder nun endlich seine eigene Meinung und ein daraus resultierendes Urteil bilden!
„Händer“ leitet 1980 das schreckliche 80er-Jahre-Jahrzehnt ein, in dem Musik immer stärker zur Konserve verkommt und oftmals wirklich gelungene Handarbeit durch eine Vielzahl elektronischer Nachbearbeitungen an Bedeutung verliert. „Händer“ ist diese Entwicklung deutlich anzuspüren. Im gleichen Studio und gleichen Jahr, in dem LED ZEPPELIN ihr „In Through The Outdoor“ und GENESIS ihren „Duke“ aufnehmen, machen sich auch KAIPA an ihr „Händer“-Werk. Dabei sind sie stark gebeutelt, denn ROINE STOLT und MATS LINDBERG verließen 1979 die Band - und so kamen vorerst Gitarre und Bass abhanden. Mit MAX AHMAN und MATS LINDBERG wurde zwar zwei Nachfolger, aber nicht im entferntesten ein gleichwertiger Ersatz gefunden. Auch spürt man ganz schnell, dass „Duke“ auch in diesem Studio aufgenommen wurde, denn einiges auf „Händer“ klingt in seinen wenigen besten Momenten wie so eine Art Ausschussware, die GENESIS bei der Aufnahme von „Duke“ in einer Ecke liegen ließen. „Händer“ jedenfalls klingt wie ein Keyboard-Album mit mittelmäßigem, schwedischen Gesang, bei dem alle anderen Instrumente zum verzichtbaren Beiwerk verkommen.
Die schlimmste Erkenntnis steht uns aber noch bevor! Denn „Staden Lever“ (Lebendige Stadt) ist eindeutig - Achtung! Achtung! Achtung! - bei UMBERTO TOZZI und seinem 79er-Hit „Gloria“ geklaut! Eine schreckliche, aber in keiner Weise zu widerlegende Feststellung - die leider mehr als einem lieb ist, auch viel über dieses „Händer“-Album aussagt, welches sich mit synthetischen und poppigen Klängen größtenteils bei einer Radio-Format-Musikkultur anbiedert, die mit den drei Vorgänger-Alben nur noch wenig bis gar nichts mehr zu tun hat. Wen wundert‘s da noch, dass ein Jahr später auch der Sänger MATS LÖFGREN das sinkende KAIPA-Boot verlässt?
„Händer“ ist so gesehen die auslaufende Titanic, welcher der komplette Untergang noch bevorsteht. Der hat noch ein weiteres Album lang Zeit!
FAZIT: Alle, die wegen diesem „unprogressiven“ KAIPA-Album unken, behalten tatsächlich recht. Wäre es wenigstens ein gutes Pop-Album oder ein handgemachtes Rock-Album geworden, man hätte KAIPA verziehen. Aber „Händer“ ist nichts von dem - außer überflüssig.
Punkte: 4/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 31.01.2016
Mats Lindberg
Mats Löfgren, Hans Lundin, Ingemar Bergman
Max Ahman
Hans Lundin
Ingemar Bergman
Tempus Fugit / SPV
41:04
29.01.2016