Oh je, man kann sich das blanke Entsetzen einiger KATIE MELUA-Fans der Anfangstage fast bildlich vorstellen, wenn sie zum ersten Mal das aktuelle Album „In Winter“ von ihr gehört haben.
Mal ganz davon abgesehen, dass viele nicht gerade in Begeisterungsstürme ausbrechen, wenn diese Jahreszeit ansteht und ein frostiges Gefühl sie schon beim Hören des Wortes überkommt, noch schlimmer wohl wird es werden, wenn sie das aktuelle Album „In Winter“ von KATIE MELUA hören, das sie gemeinsam mit dem GORI WOMEN‘S CHOIR, der insgesamt 24 ukrainische Sängerinnen beheimatet, in hervorragender Klangqualität, aber sehr gewöhnungsbedürftiger Musikalität eingespielt hat. Im günstigsten Falle werden die Pop-Verwöhnten sich wohl darüber wundern, dass sie ein Chor-Album unter dem Namen Melua erworben haben, das sehr schön, verträumt, klassisch, zerbrechlich und ganz der dunklen Jahreszeit entsprechend klingt. Im ungünstigen Falle werden sie stinksauer über den Etikettenschwindel unter dem Namen Melua sein, der ihnen so anders erscheint, dass sie ihre „radioverwöhnten“ Ohren damit nicht belasten können. Denen jedenfalls entgeht ein außergewöhnliches, unglaublich gefühlvolles, warmherziges Album über die kälteste Jahreszeit. Im Mittelpunkt steht auf „In Winter“ nicht wirklich KATIE MELUA, sondern der einzigartige polyphonische Sound des georgischen Chors. Darum beginnt „In Winter“ auch gleich mit auf Ukrainisch gesungenen Noten, die von der ersten Minute an Verblüffung beim Hören hinterlassen. Eine Verblüffung, die erst mit der letzten der viel zu kurzen 35 Minuten des Albums, <a href="https://www.youtube.com/watch?v=adwxY_Q9R-c" rel="nofollow">bei dem die Träume unter Feuer stehen müssen</a>, endet.
Auf ihrem nunmehr sechsten Studio-Album werden wir nicht nur einmal Ukrainisch hören. Hochinteressant ist das besonders dann, wenn sich Melua an der georgischen Sprache versucht, wie auf „If You Are So Beautiful“ und getragen dabei vom Frauenchor begleitet wird, der über ein schwer beeindruckendes Stimmvolumen verfügt und man manchmal sogar den Eindruck hat, es würden auch ein paar Männer mitsingen, was wohl tatsächlich nicht der Fall ist.
<a href="https://www.youtube.com/watch?v=cOi6F4hMLcc" rel="nofollow">Die Idee für das Album</a> wurde geboren, als KATIE MELUA 2014 eine Aufnahme des Chores hörte und sofort hingerissen war: „Ihr Ton und ihr klanglicher Reichtum hypnotisierten mich.“ Daraufhin nahm sie Kontakt mit dem weltbekannten Chor-Komponisten BOB CHILCOTT auf, der ihr beim Arrangieren der Gesanganteile half: „Von Bob lernte ich, wie wichtig Beschränkungen in der Musik sind, damit Klangfarben ihren gebührenden Platz zum Entfalten erhalten.“ Und so ist das gesamte Album eine einzige „Beschränkung“ auf eine Gitarre und 25 Stimmen, die größtenteils besinnliche, traurige, melancholische, eben winterliche Klangfarben zeichnen. Das hat nichts mit Pop, aber unglaublich viel Gefühl und eher Klassik als allem Anderen zu tun.
<a href="https://www.youtube.com/watch?v=6EUVWdG-kTQ" rel="nofollow">Pendelnd zwischen London und Gori in Georgien entstand das Album</a> im Herbst 2015. Einer der ersten Songs, die dann in der Ukraine aufgenommen wurden, war der von der kleinen Schwalbe (The Little Swallow), ein traditionelles ukrainisches Weihnachtslied. Überhaupt bringt man die Musik beim Hören eher mit dem Weihnachtsfest anstatt nur dem Winter in Verbindung, wofür es wiederum eine eindeutige Erklärung gibt: „Scheinbar gibt es kein Album, das man im Winter verlässlich hören kann. Ein Album, das imstande ist, das Haus mit wunderbar-warmen, ergreifenden Klängen auszufüllen. Eins, das eben nicht aus den üblichen Jingle-Bells-Pop-Songs besteht, die das Radio zu dieser Jahreszeit in Dauerschleife spielt. Mir schwebte ein Platte vor, die man von Anfang bis Ende durchhören will; nicht nur einzelne Songs daraus. So wurde mein Album geboren – aus der Notwendigkeit heraus.“ Ein wenig ärgerlich ist bei diesen Worten durchaus die meluasche Arroganz, denn wenn sie sich wirklich intensiver mit diesem Thema beschäftigt hätte, müssten ihr sicher doch einige „Winter-Alben“ aufgefallen sein, die genau diesen Anspruch erfüllen. Das ändert natürlich nichts an der Tatsache, dass Gleiches auch für ihr „In Winter“ gilt.
FAZIT: „In Winter“ ist das wohl verblüffendste Album, welches KATIE MELUA in ihrer recht erfolgreichen Karriere bisher hervorbrachte. Entscheidend ist dabei nicht, dass es eine recht „unliebsame“ Jahreszeit thematisiert, sondern dass es ausschließlich mit einem georgischen Frauen-Chor und einer Gitarre entstand. Am Ende entstanden dabei 10 klassisch anmutende, sehr gefühlvolle Songs mit einer läppischen Spielzeit von 35 Minuten, das neben Eigenkompositionen auch jede Menge Coverversionen und neue Arrangements traditioneller Lieder enthält.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 13.10.2016
Kati Melua, Gori Women's Choir
Katie Melua
BMG
35:32
14.10.2016